Buckelwale erholen sich

Wie Nationalparks im Meer Lebewesen retten

Die Meere erholen sich langsam, die Fischerei wird nachhaltiger und selbst der Buckelwal kommt zurück. Allerdings nur dort, wo es konsequente Meeresschutzgebiete gibt.

Von Palau über Mauritius bis nach Großbritannien: Tausende Kilometer geschützter Meeresraum umgeben diese Inseln. Das tiefe Blau zu bewahren, ist ihre Überlebensgarantie. Gerade Inselstaaten sind Vorreiter im Meeresschutz, andere Nationen ziehen nach: Waren 2000 nur 0,7 Prozent der Ozeane geschützt, sind es jetzt 7,7 Prozent.

Im Oktober steht ein wichtiger Schritt zum Schutz der Meere bevor: Die Vertragsstaaten des UN-Übereinkommens über die biologische Vielfalt sollen ein neues Rahmenwerk verabschieden. Sie wollen 30 Prozent der Meere bis 2030 schützen, wie viel davon streng, steht bisher nicht fest. Derzeit sind laut Marine Protection Atlas nur 2,7 Prozent vollständig oder in hohem Maße geschützt.

„Meeresschutzgebiete sind nach wie vor das beste Werkzeug, um marine Arten und Lebensräume zu erhalten. Aber wir müssen das wirksam umsetzen“, sagt Kim Detloff, Leiter Meeresschutz beim Naturschutzbund (Nabu). Teilweise wird in Schutzgebieten weiterhin Fischerei betrieben, Rohstoffe werden abgebaut, es gibt Schifffahrt und Tourismus. Wo das verboten ist, „explodiert die Natur: mehr Arten, mehr Individuen einer Art, größere Tiere“. Zudem steht es nach Taifunen oder Vulkanausbrüchen in streng geschützten Gebieten besser um den Fischbestand. Auch die Wirtschaft profitiert, dank des Spillover-Effekts. Detloff: „Weil die Fläche des Schutzgebietes irgendwann zu klein ist, wandert die gesunde Lebensgemeinschaft ab, so profitieren die angrenzenden Gebiete und auch die Fischerei.“

Meeresschutzgebiete: die Rettung der Artenvielfalt

Meeresschutzgebiete haben jedoch nicht Wirtschaftlichkeit im Sinn, sondern den Schutz von Arten und Biotopen, etwa Korallenriffen. „Korallenriffe sind das Rückgrat des Meeres. Mehr als ein Viertel der marinen Lebensformen brauchen die Riffe für ihre Nahrung, zum Schutz und als Lebensraum“, sagte Emily Higgins beim Korallenriff-Symposium im Juli 2021 in Bremen. Die Wissenschaftlerin arbeitet für das Unternehmen IntelliReefs und entwickelt künstliche Korallenhabitate, um Riffe wiederherzustellen. Meereserwärmung, Korallenbleichen, Ozeanversauerung, Verschmutzung, Überfischung – all das setzt den Riffen zu. „Weltweit sind bereits fast 50 Prozent der Korallenriffe zerstört, marines Leben und Biodiversität sind in Gefahr.“

So auch vor der französisch-niederländischen Karibikinsel St. Martin. An der Küste vor der niederländischen Hauptstadt Philipsburg testet IntelliReefs daher zusammen mit den Stiftungen The Nature Foundation St. Maarten und der eigenen Reef Life Foundation die künstlichen Riff-Strukturen aus Kalkstein, Aragonit und kalziumbindenden Komponenten. Die Elemente aus den neuartigen Ozeanit-Substraten haben eine komplexe Porenstruktur. Sie lassen sich in allen möglichen Formen herstellen und so an die Bedürfnisse der unterschiedlichen Arten in einer Region anpassen. Mit langen Metallstiften werden die Kunstriffe im Meeresboden verankert. Auf dem Material wachsen gerne kalkhaltige Arten wie Krustenalgen, eine wichtige Voraussetzung für die Ansiedlung von Korallen.

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Die Ergebnisse der Pilotstudie sind laut Higgins vielversprechend, vor allem in den Meeresschutzgebieten: Die lokale Artenvielfalt erhöhte sich, das Korallenwachstum stieg, Fische und wilde Korallen siedelten sich an – sogar mehr als auf natürlichen Riffen oder künstlichen aus Beton.

„Das Rückgrat des Meeres“: Korallen wie diese sechsstrahlige Hexacorallia dienen marinen Lebensformen als Nahrung, Schutz oder Lebensraum. Weltweit sind jedoch nur noch ca. 50 Prozent der Riffe intakt. Meeresschutzgebiete können helfen, ihrer Zerstörung entgegenzuwirken.
Bild: IMAGO/Artokoloro

Um Meere effektiv zu schützen, muss die Bevölkerung vor Ort einbezogen werden. „Meeresschutzgebiete einfach den Küstengemeinden von oben herab überzustülpen, funktioniert nicht. Es ist etwa sehr wichtig, Rechte und Territorien indigener Menschen anzuerkennen“, sagt auch Richard Page. In den 90er-Jahren arbeitete er bei Greenpeace, seit zwanzig Jahren auch zu Meeresschutzgebieten, mittlerweile bei der NGO Ocean Unite. Oft könne man von der lokalen Bevölkerung lernen, etwa auf den Fidschi-Inseln: „Dort existiert seit Jahrhunderten ein System geschlossener Gebiete, wo nicht gefischt wird, weil dort die Kinderstuben mancher Spezies sind.“ Auf den Malediven wiederum funktioniere die Meeresraumplanung besonders gut: Einige Gebiete werden für Tourismus oder Fischerei ausgewiesen, andere streng geschützt – die Bevölkerung wird miteinbezogen.

Was Inselbewohner:innen bewirken können, zeigt das Beispiel der Isle of Arran vor der Westküste Schottlands. Jahrzehnte der Überfischung führten zu einem dramatischen Verlust der Artenvielfalt, die Fischerei brach zusammen. 1995 gründeten Bewohner:innen die Community of Arran Seabed Trust (COAST). Ihre Kampagnen hatten Erfolg: 2008 wurde ein kleines Gebiet, 2,67 Quadratkilometer, zur ersten No-take-Zone Schottlands erklärt. Ergebnis: Die Artenvielfalt nahm zu, Bestände etwa der Köngismuschel und des Europäischen Hummers erholten sich. Der Startschuss für weitere Meeresschutzgebiete in der Region.

Auch in der deutschen Nord- und Ostsee sind fast 45 Prozent der Meeresfläche als Schutzgebiete ausgewiesen. Detloff vom Nabu kritisiert jedoch: „Trotz der Schutzgebiete lässt man an kaum einer Stelle die Natur einfach Natur sein.“ So sei etwa in allen sechs Naturschutzgebieten der deutschen Nord- und Ostsee jenseits der 12-Seemeilen-Zone nach wie vor Schleppnetzfischerei erlaubt, auch Kies und Sand werde abgebaut. „Ein Schutzgebiet darf nicht nur auf dem Papier existieren.“

Ein Erfolg ist der Nationalpark Wattenmeer. Es gibt ihn seit 1985, seit 2009 ist er Unesco-Weltnaturerbe. Detloff nennt ihn die „Lebensversicherung des Wattenmeers“, denn er soll die natürlichen Dynamiken der naturnahen Wattlandschaft erhalten. Auch dieser Nationalpark erfüllt nicht die strengen Vorgaben der Weltnaturschutzunion, nach denen 75 Prozent der Natur unberührt und ungenutzt sein müssen. Er gilt daher als Entwicklungsnationalpark. Detloff: „Wir schöpfen das ökologische Potenzial unserer Schutzgebiete gar nicht aus.“

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Nicht nur Meeres-, sondern auch Klimaschutz

Dieses Potenzial ist riesig, auch für den Kampf gegen die Klimakrise. „Marine Ökosysteme an den Küsten sind die effizientesten Ökosysteme, um Kohlenstoff zu binden und zu speichern“, erklärt Naturschützer Page von Ocean Unite. Denn Meerestiere oder Pflanzen wie Algen oder Seegras ziehen Kohlendioxid aus der Atmosphäre und binden es in ihrem Organismus. Von Blue Carbon, blauem Kohlenstoff, spricht man deshalb. Auch der erste gemeinsame Bericht des Weltklimarats IPCC und des Weltbiodiversitätsrats IPBES nennt Seegraswiesen und andere Küsten-Ökosysteme als besonders effektive Kombilösung von Klima- und Naturschutz. Doch wenn etwa mit Schleppnetzfischerei der Meeresboden aufgewühlt wird, zerstört das nicht nur marine Habitate, sondern bringt auch Kohlenstoff wieder in Umlauf. Verhindern könnten das strenge Schutzgebiete.

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Auch eine Kombination aus natürlichen und technischen Lösungen wie Deichen, Sandvorspülungen oder Wellenbrechern könnte bei der Klimaanpassung helfen. Detloff: „Mit technischen Mitteln allein können wir den Wettlauf gegen die steigenden Meeresspiegel kaum gewinnen. Manche Prognosen gehen von mehr als einem Meter im Jahr 2100 aus. So viel Sand können wir gar nicht vor die Inseln schütten.“ Letztlich müsse man mit den natürlichen Dynamiken arbeiten: „Küsten können etwa durch Salzwiesen wachsen. Doch durch Deiche ist ihnen diese Möglichkeit oft genommen.“ Salzwiesen, krautige Pflanzenlandschaften aus Schlickgräsern und Quellern, entstehen am Übergang vom Meer zum Land, wo die Gezeiten sie regelmäßig überfluten. Sie wachsen etwa einen Zentimeter pro Jahr, indem sich Sedimente im Kraut verfangen.

Es gibt erste Versuche, die versiegelten Küsten wieder zu öffnen, sodass sich die Natur erholen und Salzwiesen wachsen können. Zum Beispiel am Langwarder Groden, auf der Spitze der Halbinsel zwischen Wilhelmshaven und Bremerhaven, wo 2016 ein alter Sommerdeich geöffnet wurde. „Es hat sich gezeigt, wie sich die Salzwiesen innerhalb von nur fünf Jahren erholen und die Natur und die Vogelwelt zurückkommen“, erläutert Detloff vom Nabu. Heute ist dort ein Naturerlebnispfad, der Tourist:innen anzieht.

Auf Eiderstedt, einer Halbinsel an der Nordseeküste Schleswig-Holsteins, gibt es ähnliche Bemühungen. „Aber auf manchen Inseln tut man sich mit damit noch schwer“, so Dettloff. „Das ist eine schwierige Balance: Wie viel natürliche Dynamik lasse ich zu?“ Denn die natürliche Dynamik kann letztlich ganze Inseln verschieben. Bewohnte Inseln und Küstenabschnitte aufzugeben sei heute gesellschaftspolitisch schwer vorstellbar. Auf der Vogelinsel Trischen, etwa 14 Kilometer vor der Nordseeküste Dithmarschens gelegen, wohnt hingegen niemand mehr, nur eine Vogelwartin des Nabu für einen Teil des Jahres. Dort gibt es keinen technischen Küstenschutz, die Insel wandert jährlich 30 bis 40 Meter Richtung Küste, die Westseite wird abgetragen, die Ostseite angelagert.

In den nächsten 30 Jahren können wir die Meere noch retten, wie ein Forscher:innenteam 2020 im Fachmagazin Nature schreibt. Schon jetzt werde die Fischerei langsam nachhaltiger, weniger Mangroven und Seegraswiesen würden zerstört. Bedrohte Arten können sich erholen. Beispiel Buckelwal: Lebten 1968 nur ein paar hundert Tiere, gibt es heute mehr als 40.000.

Die Forscher:innen fordern: große Meeresflächen schützen, in nachhaltige Fischerei investieren und die Verschmutzung in den Griff bekommen. Aber auch die Klimakrise bekämpfen, indem Treibhausgase reduziert werden. All das würde schätzungsweise 10 bis 20 Milliarden US-Dollar kosten. Es lohnt sich: Allein der ökonomische Nutzen wäre zehnmal so hoch.

BILD: IMAGO/robertharding

Positivbeispiel für Meeresschutz: Bewohner:innen der schottischen Isle of Arran erkämpften 2008 die ersten Schutzgebiete der Region. Die Artenvielfalt, die zuvor dramatisch unter Überfischung gelitten hatte, nahm in der Folge langsam wieder zu.

Astrid Ehrenhauser

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