Es knarzt und knirscht beim Gehen, wie auf frischem Schnee. Doch auf dem Boden liegen zerkleinerte Pfirsichkerne. Giel Hendrikx hebt sie auf und schüttelt sie, als wollte er würfeln. Dann bückt er sich wieder, greift mit der anderen Hand in das Pflanzenbeet am Wegesrand und pflückt andere Schalen vom Boden. „Hier haben wir noch etwas Haselnuss … und da hinten Aprikosenkerne.“ Die Kerne und Schalen klackern in seinen Handflächen, tack-tack, während er weiterspricht.
Giel Hendrikx ist Innovations-Manager bei EuroParcs, einem niederländischen Unternehmen, das „vakantieparken“ baut – so was wie Miniatur-Dörfer für naturnahe Urlaube, zum Beispiel in den Niederlanden, in Belgien und Deutschland. Auf der Floriade Expo präsentiert es gerade innovative, energieautarke Tiny Houses aus Holz und recycelten Materialien. Alle zehn Jahre findet die Weltgartenausstellung Floriade in den Niederlanden statt, dieses Mal in Almere vom 14. April bis 9. Oktober 2022. Ihr Thema: „Growing green cities“.
Hinter Giel Hendrikx lauert eines der neuen Ferienhäuschen. Das „Rebel House“ hat vier hohe Holzbeine, auf denen ein geometrischer Wohnraum mit spitzer Schnauze hockt, es ähnelt einem Monsterkäfer. Der knackende Pfirsichkern-Pfad unter Hendrikx führt zu einer Treppe und die hinauf zur Eingangstür. Sonnenstrahlen fallen schräg auf die Fassade, lässt deren Fliesen kupferfarben funkeln wie vulkanisches Gestein.
Floriade zeigt 3D-Bau und Glasur aus Feinstaub
„Ich wollte ein tierähnliches Wesen entwerfen, das aussieht, als könne es jeden Moment weglaufen“, sagt der Architekt Cas van der Zanden. Er sitzt auf einer Picknickbank direkt unter dem Bauch des Käferhauses. Van der Zanden, gestreiftes T-Shirt und Sonnenbrille im mittellangen Haar, hat ein eigenes Architekturbüro und unterrichtet nebenbei an der Technischen Universität Delft. „Dadurch, dass das Haus auf Stützen steht, ist sein Fußabdruck klein, auch ökologisch gesehen.“ Der Boden muss nicht ausgehoben werden, das Leben in ihm bleibt unberührt. Die Wände des 20-Quadratmeter-Hauses sind mit alten Papierschnipseln isoliert und außen mit Keramikplatten gefliest. Ihre Glasur enthält Feinstaub, zuvor herausgefiltert aus der Luft in Fabriken oder Parkhäusern. Die Partikel werden so gebunden und unschädlich gemacht.

Der Rohbau ist aus süddeutschem CLT-Holz (Brettsperrholz). „Ikea für Erwachsene“, kommentiert Giel Hendrikx schmunzelnd. Denn das funktioniert so: Architekt:innen skizzieren den Bau in 3D und mailen ihren Entwurf an eine Fabrik mit CNC-Maschinen. Die computergesteuerten Werkzeugmaschinen fräsen alle Details aus CLT-Holz, samt Auslassungen für Steckdosen und Verbindungsteilen. Heraus kommt eine Art „Ikea-Paket“, das Architekt:innen in Eigenregie zusammenschrauben können. Bis zu vierzig Elemente sind laut van der Zanden innerhalb eines Tages machbar. Komplizierter wird’s bei der technischen Ausstattung. Rebel House ist Wohnraum und Mini-Energiekraftwerk in einem. Die Photovoltaik-Thermie- bzw. PVT-Module auf dem Dach gewinnen nicht nur Strom, sondern liefern auch Energie für die elektrische Wärmepumpe, die sich in den Holzbeinen des Hauses verbirgt und für Warmwasser sorgt. Denn PVT-Paneele sind Solarmodule mit integriertem Luft-Wärmetauscher.
Dass EuroParcs sein Haus ausstellt, ist ein wichtiges Signal für Cas van der Zanden. „Von einer Behörde würde Rebel House schnell aus rein ordnungspolitischen Gründen abgelehnt werden.“ Ferienparks seien ein unbürokratischer Ort, um völlig neue Baukonzepte auszuprobieren. Langfristig möchte er größere Rebel Houses aus Holz bauen und mit Gesellschaften für sozialen Wohnungsbau zusammenarbeiten.
Comeback für den Holzbau – nicht nur auf der Floriade
Der Holzbau erlebt gerade ein Revival. 21,3 Prozent der genehmigten Wohngebäude in Deutschland basierten 2021 auf Holzbauweise. Unter allen biobasierten Baustoffen ist Holz am besten erprobt – und ein wichtiger Hebel, wollen wir die Pariser Klimaziele erreichen. Denn: Ein Wald aus vielen alten Bäumen, die kaum mehr wachsen, nimmt wenig CO2 auf. Wird er durch Stürme, Brände oder Borkenkäfer verwüstet, gelangt der gebundene Kohlenstoff wieder zurück in die Atmosphäre. Werden aber die Bäume gefällt, um sie für den Holzbau zu nutzen, wird das CO2 langfristig gespeichert.
Den Effekt hat ein Team um Hans-Joachim Schnellnhuber vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung näher analysiert. In seiner Studie Buildings as a global carbon sink von 2020 heißt es: „Ein fünfstöckiges Wohngebäude aus Brettschichtholz kann bis zu 180 Kilogramm Kohlenstoff pro Quadratmeter speichern, dreimal mehr als in der oberirdischen Biomasse natürlicher Wälder mit hoher Kohlenstoffdichte.“ Ein Zukunftsszenario der Forschenden: Bauen wir 50 Prozent unserer Gebäude weltweit aus Holz, können jährlich 140 Millionen Tonnen Kohlenstoff gespeichert werden. Ungefähr so viel, wie die Niederlande 2021 ausgestoßen haben. Zudem ließen sich die Treibhausgasemissionen aus der Stahl- und Zementherstellung mindestens halbieren. Die erforderliche Holzmenge sei bereits verfügbar, da viele Forste weltweit intensiver bewirtschaftet werden könnten. Bedingungen dafür: Die durchschnittliche Wohnfläche pro Person vergrößert sich nicht, Holz aus abgerissenen Gebäuden wird wiederverwendet und, ganz wichtig, das Holz stammt aus nachhaltiger Forstwirtschaft.
Bei „The Natural Pavilion“ auf der Floriade ist das der Fall. Ein Mann in Jeans und blauem Hemd kommt schnellen Schrittes um die Ecke. „Ik ben Bert“, stellt er sich vor und zeigt auf den luftigen Holzklotz aus niederländischer Douglastanne. The Natural Pavilion ist ein zirkuläres Bauvorhaben des Projektentwicklers Noordereng, und Bert Sterken leitet es.
Wie das Rebel House besteht der Pavillon aus CLT-Holz, designt in 3D und gefräst durch CNC-Maschinen. Völlig anders aber sind die Dimensionen (1.000 Quadratmeter verteilt auf drei Stockwerke) und die Bauweise: The Natural Pavilion besteht aus vielen stapelbaren, quadratischen Holzmodulen, die vor Ort wie Lego zusammengesetzt werden. Jedes Modul verfügt über acht Scharniere aus recyce…
Das innovative „Rebel House“ wird von EuroParcs auf der Floriade Expo 2022 ausgestellt.