„Manchmal gibt es Tage, an denen man einfach total verzweifelt“, schreibt Joel, eine Leserin. Der Grund für ihre Verzweiflung betrifft uns eigentlich alle – die Klimakrise. Auf unsere Anfrage erklärt Joel: „Wenn man ein emotionaler beziehungsweise empathischer Mensch ist und sich mit dem Thema stark befasst, dann belastet es einen sehr und man fragt sich, weshalb die Politik und Menschen das zulassen.“ Wenn sie an die Folgen denkt, bekommt sie Angst. Wird die Welt es schaffen, die Auswirkungen der Klimakrise unter Kontrolle zu halten?
Ähnliche Sorgen macht sich auch Leserin Anne. Aber nicht um sich selbst, sondern vielmehr um ihren Sohn: „Hat er später genügend Wasser oder Essen?“, fragt sie sich. „Muss er vielleicht sein Zuhause verlassen, weil seine Heimat wegen des Wandels ,bedroht‘ ist?“ Anne hätte gerne ein zweites Kind, hadert aber mit sich, weil sie nicht weiß, ob sie ihm diese Zukunft zumuten möchte.
Klimaangst: Wieso der Begriff problematisch ist
Wie Joel und Anne geht es vielen. Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Insa fürchten 42 Prozent der Deutschen, dass die Klimakrise die Stabilität und Sicherheit der Welt gefährden könnte. Unter den Jugendlichen sind es 65 Prozent – das ergab die aktuellste Shell-Studie aus dem Jahr 2019. In den sozialen Medien posten Betroffene unter den Hashtags „#ecoanxiety“ und „#climateanxiety“ ihre Sorgen. Auch Begriffe wie „Klimaangst“ und „Klimadepression“ sind verbreitet.
Dabei sind die Begriffe nicht immer angemessen, findet der Psychologe Felix Peter, der sich bei Psychologists for Future engagiert. Denn Ängste und Depressionen werden oft mit Störungen in Verbindung gebracht. Der Begriff kann also implizieren, dass die Angst vor der Klimakrise auch eine Krankheit sei.
Dabei ist die sogenannte „Klimaangst“ nur eines von vielen Gefühlen, mit denen wir auf kritische Veränderungen in der Umwelt reagieren. Andere Menschen empfinden vielleicht eher Wut, Trauer oder Hoffnungslosigkeit. „Es handelt sich um eine natürliche Reaktion auf eine wahrgenommene Bedrohung und in erster Linie nicht um eine Erkrankung,“ so der Experte.
Nicht jede*r ist gleich anfällig für Klimaangst
Wieso betrifft Klimaangst manche Menschen mehr als andere? Das liegt laut Psychologe Felix Peter an individuellen Voraussetzungen.
Manche Menschen sind generell sensibler und anfälliger für Ängste. Ein großer Teil der Gesellschaft habe ohnehin oft Schwierigkeiten, die eigenen Gefühle richtig einzuordnen und darüber zu sprechen. Außerdem haben zum Beispiel Kinder und Jugendliche in ihrer Entwicklung oft noch nicht gelernt, wie man mit Bedrohungen richtig umgeht.
Zur Risikogruppe zählt er außerdem Menschen, die sich intensiv mit der Klimakrise beschäftigen, zum Beispiel Wissenschaftler*innen und Klimaaktivist*innen. Aber auch Menschen, deren Alltag eng mit der Umwelt verbunden ist, sind besonders betroffen; zum Beispiel Landwirt*innen und indigene Bevölkerungsgruppen.
Auch die Art, wie sich Klimaangst äußert, ist sehr unterschiedlich. Symptome wie Leserin Sassa sie beschreibt, sind typisch: „Ich kenne Menschen, […] die aus Angst vor der Zukunft nicht schlafen können.“ Laut Peter sind Schlafschwierigkeiten oder längere Grübelphasen ein typisches Symptom von Ängsten. Auch Stimmungsschwankungen, Traurigkeit und Ruhelosigkeit können dadurch auftreten. In extremen Fällen können Ängste und Stress depressive Verstimmungen sowie psychosomatische Beschwerden wie Bauchschmerzen oder Magen-Darm-Probleme auslösen.
So entsteht Klimaangst
Eigentlich ist Angst nützlich – sogar die sogenannte Klimaangst: „Sie kann eine zukunftsorientierte Haltung auslösen, die uns dazu motiviert, uns angemessen mit einer Bedrohung auseinanderzusetzen und Dinge zu tun, die diese Bedrohung abwenden können“, erklärt der Psychologe Felix Peter. „Das erleben wir zum Beispiel bei den Leuten, die sich bei Fridays for Future engagieren.“
Andere Menschen neigen laut Peter dazu, das Angstgefühl zu verdrängen. „Die Informationen können dabei ganz ausgeblendet oder so verändert werden, dass sie nicht mehr bedrohlich wirken.“ Die Klimakrise wird dann zum Beispiel heruntergespielt oder ganz verleugnet. Das führt dazu, dass wir uns mit dem Problem nicht mehr auseinandersetzen, weil es uns persönlich nicht mehr als Problem erscheint.
Auch das sei eine normale Reaktion, so Peter. „Wenn wir uns über alles Sorgen machen würden, würde und das massiv überfordern.“ Es gibt aber noch andere Wege, mit der Angst umzugehen – das zeigt ein Mitglied unserer Community:
„Es hilft niemandem, ständig in Panik zu sein und zu glauben, es sei eh schon alles zu spät“, erklärt Leser Peter auf unsere Anfrage auf Facebook. Er findet, dass die Angst davon abhalte, über Lösungen zu sprechen. Deshalb versucht er, die Klimakrise konstruktiv zu betrachten, „also nicht ‚wir müssen verhindern, dass‘, sondern ‚es wäre ein Erfolg, wenn‘.“
Das Problem an der Klimakrise ist ihr globales Ausmaß. Bei einem so großen Problem bekommen wir schnell das Gefühl, dass wir nichts gegen die Bedrohung tun können, erklärt Felix Peter. Auch die Geschwindigkeit, mit der politische Entscheidungsträger*innen auf die Klimakrise reagieren, beunruhigt viele – zum Beispiel Leserin Silke. „Uns rennt die Zeit davon und obwohl wir es alle wissen, hab ich das Gefühl, dass an den großen Stellschrauben (vor allem in der Politik) nichts passiert“, schreibt sie. Sie tue sich schwer damit, etwas Positives in der Zukunft zu sehen.
Mit einer Angststörung oder Depression hat das aber nichts zu tun. „Klimaangst“ ist keine psychiatrische Diagnose, sondern eine natürliche Reaktion auf eine Bedrohung.
3 Tipps gegen Klimaangst: Das kannst du tun
Auch wenn die Gefühle ganz natürlich sind – Klimaangst, -wut und -trauer können uns sehr belasten. Aber wie mit diesen Gefühlen umgehen? Der Psychologe Felix Peter hat verschiedene Tipps:
- Über Sorgen reden. Das geht sowohl im Freund*innenkreis als auch in der Familie. Alternativ können Betroffene zum Beispiel in Klimagruppen (auch online) mit anderen zu dem Thema diskutieren.
- Die Balance halten zwischen einer aktiven Auseinandersetzung mit der Klimakrise und Erholungsmöglichkeiten. Für ersteres können folgende Fragen helfen: Wie ist es mir bislang gelungen, mit meinen Sorgen umzugehen? Wer und was gibt mir das Gefühl, etwas bewirken zu können? Wie kann ich konkret einen Beitrag leisten? Aber auch folgende Fragen sind wichtig: Was hilft mir dabei, zu entspannen? Wann ist es an der Zeit für eine Auszeit?
- Für wirksamen Klimaschutz engagieren. „Am besten in einem sozialen Rahmen“, rät Felix Peter. Man kann zum Beispiel mit Freund*innen Demos besuchen, einer Ortsgruppe der Klimabewegung beitreten oder sich in einer Partei für Klimaschutz engagieren. Aber auch vermeintlich kleine Beiträge zählen und sollten wertgeschätzt werden. Peter rät, dort anzuknüpfen, wo man selbst seine Stärken sieht. Manche organisieren gerne, andere sind vielleicht besser in der Kommunikation.
Wenn es keinen Verein in deiner Gegend gibt, kannst du dich immer noch privat engagieren wie Leserin Anja: „Ich sammle ehrenamtlich Müll, informiere über Gifte und Plastikkonsum und hänge über unsere Plogging-Gruppe (Plogging ist eine Natursportart, bei der Joggen und das Aufsammeln von Müll miteinander verbunden werden, Anm. d. Red.) umgebaute Tetra-Paks für Kippen auf.“ Leserin Anne arbeitet in einer Bibliothek. Dort reduziert sie Plastik, indem sie Bücherfolien aus alternativen Materialien testet.
Wenn die Belastung zu groß wird: So holst du dir Hilfe
Manchen Menschen fällt es schwer, mit den Gefühlen umzugehen, die die Klimakrise in ihnen hervorruft. Wenn sie eine gefühlte Bedrohung weder verdrängen können, noch das Gefühl haben, sie durch aktives Eingreifen abwenden zu können, kann sich daraus eine „klinisch bedeutsame Angststörung“ entwickeln, erklärt Psychologe Felix Peter.
Er rät Betroffenen, sich Hilfe zu holen, wenn sie merken, dass sie in ihrem alltäglichen Leben anhaltend beeinträchtigt sind. Das kann sich zum Beispiel darin äußern, dass es ihnen schwer fällt, Freude zu empfinden oder ihrem Beruf nachzugehen. Auch wenn Freund*innen oder Partner*in einen darauf ansprechen, dass man in letzter Zeit sehr niedergeschlagen wirkt, kann das ein erster Hinweis sein.
Peter rät: „Betroffene können in dem Fall den Hausarzt aufsuchen oder sich direkt um eine therapeutische Erstberatung kümmern. Wenn sie sich zum Beispiel bei einer Klimabewegung engagieren, raten wir von Psychologists for Future dazu, erst einmal eine Auszeit zu nehmen.“ Betroffene sollten sich eine Zeit lang nicht zu sehr mit Klimathemen beschäftigen und sich Zeit nehmen, um sich persönlich zu erholen.
Nicht die Symptome, sondern die Ursachen müssen bekämpft werden
Bei den eben beschriebenen Fällen handelt es sich um echte Angststörungen. Mit den verbreiteten Gefühlen, die wegen Sorgen bezüglich der Klimakrise entstehen, hat das wenig zu tun. In den Medien werde aber leider oft nicht differenziert genug über Klimaangst berichtet, kritisiert Felix Peter.
„Wenn man Begriffe aus der Psychiatrie nutzt wie Angststörung oder Depression, dann pathologisiert man diese Gefühle, die ja berechtigterweise durch die Bedrohung durch die Klimakrise entstanden sind.“ Das heißt, die zu überwindende Angst rückt in den Fokus und es wird suggeriert, dass wir uns nur besser daran anpassen müssen.
Klimaangst ist kein persönliches, psychisches Problem, sondern die Reaktion auf eine globale Katastrophe. Um diese aufzuhalten, müssen wir nicht unsere Ängste bekämpfen, sondern die Ursachen. Und zwar nicht nur die Verbraucher*innen, die sich mit Sorgen planen, sondern auch die Politik.
Unsere Kooperationspartner*innen
Enorm kooperiert mit Utopia.de, einer deutschsprachigen Website über nachhaltiges Leben und bewussten Konsum.Die Dringlichkeit der Klimakrise ist zweifellos besorgniserregend. „Klimaangst“ kann aber auch lösungsorientiertes Handeln lähmen oder gar zu Depressionen und psychosomatischen Symptomen führen.