Das leuchtende Grün von Palmen, Schnitt, ockerfarbener Sand, Schnitt, der wolkenverhangene Himmel über dem Nigerdelta. Auf fünf Bildschirmen gleichzeitig tritt ein Mann aus dem Urwald hervor. Es ist ein Tänzer des Ogoni-Volkes, der in Slow Motion einen Salto schlägt – die schwarzen, verdrehten Hörner seiner Antilopen-Maske drohen ihn beim Überschlagen aufzuspießen. Die traditionelle Maskerade der Ogoni heißt Karikpo: Durch Tanz werden die Akrobatik und Stärke von Tieren imitiert. Eine der Funktionen des Rituals ist das Heraufbeschwören von Fruchtbarkeit für die Felder.
Aber das Ogoni-Land im Süden Nigerias ist völlig vergiftet. Die Männer tanzen auf verrosteten Ölpipelines und gerodetem Land: Der Abbau von Erdgas und Erdöl hat die Luft verpestet. Der Shell Konzern beutete das Ogoni-Land von 1958 bis 1993 aus. Erst Mitte der Neunziger, als 300.000 Ogoni gegen die Ausbeutung des eigenen Landes protestierten, zog sich der Konzern zurück. Doch das Rohöl, das aus den verrottenden Rohren tropft, belastet die Umwelt weiter.
Die nigerianisch-britische Künstlerin Zina Saro-Wiwa hat das Karikpo-Ritual in einer Videoinstallation inszeniert. Ihr eigener Vater, ein in Nigeria berühmter Umweltaktivist, der eine Schlüsselrolle in den Ogoni-Protesten gespielt hatte, wurde in den Neunziger Jahren vom Militärregime des Landes ermordet. Saro-Wiwas Installation ist Teil der neuen Ausstellung „The Long Term You Cannot Afford. Zur Verbreitung des Toxischen” im Kunstraum Savvy Contemporary in Berlin Wedding.
Hier werden die Werke von Künstlern und Künstlerinnen aus fünf Kontinenten gezeigt. Der kamerunische Biotechnologe Bonaventure Soh Bejeng Ndikung gründete das Kunstlabor vor 10 Jahren, um einen Begegnungsraum von westlicher und nicht-westlicher Kunst zu schaffen. Statt einer einseitigen Anklage soll hier ein konstruktiver, post-kolonialer Dialog entstehen: dieses Mal zum Thema Gift. Gift in Form von Abfallprodukten, die beim Raubbau von Ressourcen entstehen und Menschen und ihre Lebensräume zerstören, Gift in Form von politischen, sozialen und historischen Mechanismen, die diesen Raubbau immer noch zulassen.
Obwohl das Thema Müllverschmutzung derzeit präsenter ist als jemals zuvor, findet man in der Ausstellung keine Spur des zentralen Gegenstandes dieser Debatte: Plastik. Eine bewusste Entscheidung der beiden Kuratorinnen Antonia Alampi und Caroline Ektander , denn Plastik ist eine sichtbare, eine unübersehbare Materie, deren Zerstörungskraft kaum jemand mehr leugnet und die uns täglich im Alltag begegnet. Wer aber spricht noch von Elektromüll, von der Ölverpestung des afrikanischen Kontinents, von Asbest, Fäkalien im Grundwasser, Schwermetallen und radioaktiven Abfallprodukten?
Antonia Alampi steht unter Strom: Am Vormittag der Vernissage ist sie bereits seit 4 Uhr morgens wach, um die letzten Vorbereitungen und Feinschliffe zu bewältigen. Sie ist überzeugt: „Wir brauchen interdisziplinäre Kunst, die auf wissenschaftlicher Recherche beruht, um sichtbar zu machen, wie groß und ineinander verflochten die Dimension des Toxischen ist. Wir wollen die Nebenprodukte unseres kapitalistischen Lifestyles und ihre Auswirkungen immer noch nicht sehen. Wer ist das Opfer dieser Prozesse? Meistens sind es Menschen, die eine andere Hautfarbe haben und in einer schwächeren Position sind, als wir. Dennoch stehen auch wir in ständigem Kontakt zu den Abfallprodukten unseres Konsums.”
Blaue Fässer, Gekochte Cola, verstrahlte Fotonegative
Alle Installationen in den bunkerartigen Räumen der Galerie haben etwas bedrohliches und zugleich über-ästhetisiertes an sich: Es soll gezeigt werden, wie sehr uns die schillernden Oberflächen unserer Produkte davon ablenken, wie toxisch sie eigentlich sind. Da sind zum Beispiel die Schwarz-Weiß-Fotografien der Künstler Anu Ramdas und Christian Danielewitz, die in der Nähe der mongolischen Industriestadt Baotou eine Mülldeponie besucht haben. Dort lagern Tonnen von chemikalisch und radioaktiv verseuchtem Müll, der beim Abbau seltener Erden entsteht. Jenes Material, das wir nicht nur für die Herstellung unserer Smartphones, sondern auch für die Fertigung von Windturbinen benötigen. Die Künstler haben ihre Negative dem radioaktiven Element Thorium 232 ausgesetzt, um sichtbar zu machen, wie zerstörerisch die Auswirkungen des Mülls auf die Umwelt und die Arbeiter in der Mongolei sind. Das Ergebnis wirkt wie ein Röntgenbild eines Körpers, der dabei ist in Flammen aufzugehen und zu zerbersten.
In einer anderen Ecke des Raumes befindet sich ein Berg schwarzer Brocken, der einen unangenehm süßlichen Duft verströmt. Um diese Masse zu erzeugen, hat der chinesische Künstler He Xiangyu den Inhalt von 60.000 Coca-Cola-Flaschen über ein Jahr lang gekocht. Er will sichtbar machen, in welchem Ausmaß wir uns durch den Massenkonsum des vielleicht ikonischsten Symbols des Kapitalismus überhaupt freiwillig von innen vergiften. „Meine Generation in China hat Coca-Cola jeden Tag getrunken. Wir sind von diesem Getränk so geprägt und hinterfragen es so wenig, obwohl wir eigentlich genau wissen, wie schädlich es für uns ist”, sagt der Künstler.
Die Verantwortung für das Toxische selbst übernehmen
Vom zentralen Werk der Ausstellung trennt den Besucher eine Wand aus blauen Fässern, die Xiangyu benutzt hat, um seine Cola-Brocken zu transportieren. Hier bricht die Ausstellung mit der Ferne: Die nächste Installation führt in die direkte Nachbarschaft Berlins. Wie bei einem gigantischen Adventskalender sind dutzende Beutel mit Pflanzensamen an ein knallrotes Podest genagelt. „Redistribute Toxicity” steht auf den braunen Papiertüten, die sich jeder Besucher mitnehmen darf. Die Samen stammen von Pflanzen, die es geschafft haben, auf dem Giftmüll der Mülldeponie Vorketzin in Brandenburg zu wachsen.
Die Mülldeponie entstand, als Westdeutschland in den 70er Jahren seinen Giftmüll in die weitaus ärmere DDR auslagerte: Für einen Bruchteil des damals üblichen Preises wurde der Giftabfall gegen Geld getauscht: „Ein Mikrobeispiel für die Machtverhältnisse, die man heute überall auf der Welt im globalen Handel mit Giftmüll sehen kann”, findet der für die Installation verantwortliche, niederländische Künstler Jonas Staal. „Wir haben daher nach einer Möglichkeit gesucht, dieses ausgelagerte Problem zurück zu seinem Ausgangspunkt zu führen.” Die Illusion, dass der eigene Konsum keine negativen Auswirkungen hat, soll zunichte gemacht werden. Der Besucher wird aufgefordert, die Samen zu pflanzen, um das aus Müll entstandene Leben wieder in den Westen zurückzubringen.
Das Kontroverse dabei: Es ist nicht sicher, ob die Samen selbst noch Toxine in geringen Dosen enthalten. Der Künstler schuf das Projekt basierend auf der Recherche des Umwelthistorikers Jonas Stuck, der für seine Promotion am Rachel Carson Center in München den Müllhandel zwischen der DDR und der BRD erforscht. Für seine Forschung und das gemeinsame Projekt mit Staal haben sich die beiden dem immer noch hoch giftigen Müll tagelang ausgesetzt. „Wir haben das Privileg, zum großen Teil freiwillig zu entscheiden, ob wir uns dem Toxischen aussetzen oder nicht”, sagt Jonas Stuck. „Wir können aktiv aus dieser Situation ausbrechen, wenn wir wollen, während eine überwältigend große Gruppe von Menschen auf der Welt diese Wahl nicht hat.”
Ausstellung „The Long Term You Cannot Afford”
Savvy Contemporary, Plantagenstraße 31, 13347 BerlinAusstellungszeitraum: vom 19.10.2019 bis zum 1.12.2019
Eine Berliner Ausstellung macht deutlich, dass die Klimadebatte sich auch mit der weltweiten Giftmüllverschmutzung auseinandersetzen muss