Kolumne: Mein erstes Mal

Mein erstes Mal als Aktivist

Wenn gelegentlich auf die Straße gehen nicht mehr reicht: Unser Autor hat das Gefühl, mehr tun zu müssen. Er hat sich einer linken Aktionsgruppe angeschlossen

Nun wird er doch abgeholzt, der Hambacher Forst. Zumindest sah es beim Redaktionsschluss für diesen Text Ende September so aus. Tausende Polizisten, tage- und wochenlang im Einsatz, mindestens ebenso viele Aktivisten, die aus ganz Deutschland in den westlichsten Teil Deutschlands gekommen sind, ein toter Journalist und über allem die Frage: Ist das gerecht – und vor allem nötig?

Ist es nicht, denke ich. Aber was bringt es, das hier zu schreiben, im Freundeskreis ständig zu sagen – und schon zu wissen, dass irgendwann doch die Kohlebagger rollen? Deshalb bin ich Ende Oktober selbst in den Hambacher Forst gefahren – als Aktivist.

Dabei geht es nicht um ein paar Hektar Wald. Es geht um Klimagerechtigkeit. Es geht darum, sich und anderen bewusst zu machen, wie hart wir gerade dabei sind, einen ganzen Planeten gegen die Wand zu fahren. Und trotzdem untätig bleiben. Die aktivistische Ader in mir habe ich erst vor einigen Monaten entdeckt, auf einer Anti-AfD-Demo in Berlin – meine erste Demo überhaupt.

Mit dabei: Aktivisten von Ende Gelände, das 2015 als Aktionsbündnis verschiedener linker Gruppen gegründet wurde und sich seitdem vor allem mit Massenaktionen zivilen Ungehorsams für globale Klimagerechtigkeit einsetzt. Diese Leute in weißen Ganzkörperanzügen – die man sonst nur im Tatort sieht – haben durch ihre geradezu professionelle Organisation schon mächtig Eindruck auf mich gemacht. Spezielle Handzeichen, Zurufe, konsequent zusammenbleiben, der Flagge folgen – ich dachte nur: Wow, die wissen, was sie tun.

Kleiner Kulturschock bei den Aktivistis

Ende Gelände war deswegen für mich der perfekte erste Anlaufpunkt. Ich wusste, hier gibt es Strukturen, auf die ich bauen kann, die mir helfen, meinen Willen, etwas zu verändern, in konkrete und wirksame Taten zu gießen. Hinzu kommt – weswegen sie übrigens als Klimaaktivisten auf einer Anti-Nazi-Demo waren –, dass bei ihnen Klimagerechtigkeit ganzheitlich gedacht wird. Sie sprechen nicht nur über Energiepolitik oder Naturschutz, sondern auch über globale Gesundheit, Genderfragen, Nationalismus oder Antifaschismus. Ich habe mich sofort verstanden gefühlt. Mir ist das Engagement gegen den immer offeneren und aggressiven Rassismus in Deutschland ein Herzensanliegen. Aber eben auch das Thema Klima, das quasi über allem steht, weil es jeden Winkel des Planeten betrifft.

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Also ab auf mein erstes Plenum der Ende-Gelände-Ortsgruppe in Berlin, das inzwischen einmal im Monat stattfindet und für alle offen ist. Ich würde mich politisch gesehen schon als links bezeichnen, aber das war dann doch ein kleiner Kulturschock. Es fing bei der Sprache an: Mobi (Mobilisierung), Anti-Rep (Anti-Repressalien), Küfa („Küche für alle“), IL (Interventionistische Linke). Auch im gesprochenen Wort wird konsequent gegendert, aus Aktivisten werden Aktivist*innen – oder Aktivistis. Zudem gibt es bestimmte Abläufe und Handzeichen (Zustimmung drückt man durch das Wackeln erhobener Hände aus) und viele Bausteine aus der gewaltfreien Kommunikation, die man tatsächlich erst einmal lernen muss. Vieles ergibt sich aus dem Zusammenhang, trotzdem kann all das erst einmal abschreckend wirken.

Wie weit ist man bereit zu gehen?

Das weiß auch die Szene und stellt sicher, dass jedem der Einstieg so leicht gemacht wird wie nur möglich. Neulingen wird zum Beispiel ein Buddy zur Seite gestellt. Die Arbeit in Kleingruppen und AGs hilft außerdem, sich von Anfang an einbringen zu können – und das Gefühl zu haben, Teil von etwas zu sein. Ich bin längst nicht so aktiv wie viele andere, die sich auf Klimacamps und Aktionen in ganz Europa für die gute Sache, für Klimagerechtigkeit, einsetzen. Ich bin ja auch Journalist, und ein guter Journalist – so bekommt man es in der Ausbildung gelehrt – macht sich mit keiner Sache gemein, auch keiner guten.

Nur fahre ich ja nicht als Journalist in den Hambacher Forst, sondern als besorgter Bürger. Mir liegt unser Klima am Herzen, egal, ob ich jetzt Journalist bin oder nicht. Ich kann mein Dasein als Aktivist und meine Erwerbsarbeit trennen, so wie ich das im Alltag sowieso schon mache, Stichwort Work-Life-Balance. Diese Trennung, diese Unbefangenheit und das Sich-freimachen-von-Dingen zeichnet für mich einen guten Journalisten aus.

Trotzdem bleibt die Frage besonders heikel: Wie weit bin ich bereit zu gehen? So viel weiß ich: Ende Oktober bin ich im Hambacher Forst, zur lange angekündigten Massenaktion von Ende Gelände. Das Ziel: „Wir werden technische Infrastruktur wie beispielsweise Schienen, Zufahrten oder Bagger blockieren, um Kraftwerke von der Kohlezufuhr abzuschneiden.“ Aber: Alles soll friedlich bleiben, nichts beschädigt werden. Trotzdem werde ich mich zumindest dieses erste Mal im Hintergrund halten. Ich will mir einen Überblick verschaffen, wie so eine Aktion vor Ort abläuft, aussieht, sich anfühlt. Wer weiß, vielleicht geht es im nächsten Jahr dann auch für mich „in die Grube“, also sozusagen an die vorderste Front einer Aktion, auf einen Bagger oder Gleise.

 

Unser Autor hat das Gefühl, mehr tun zu müssen als nur auf die Straße zu gehen – und hat sich einer linken Aktionsgruppe angeschlossen

Vincent Halang

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