Coronakrise

Globaler Alltag in der Pandemie: Indien, Äthiopien und Schweden

Die Corona-Pandemie beeinflusst überall unseren Alltag. Deshalb erzählen bei enorm Menschen weltweit, wie sie die Krise in ihren Ländern erleben. Heute: Indien, Äthiopien und Schweden.

„Der Himmel war noch nie so blau wie jetzt“

Indien, Bangalore, Babu Ravanepalli, 31, User Experience Designer: „Die Krise macht mich nachdenklich. Ich schreibe meine Gedanken neuerdings auf, obwohl ich vorher nie geschrieben habe. Ansonsten versuche ich regelmäßig Yoga zu machen, spiele viel Gitarre und ich koche mein Essen täglich selbst. Natürlich halte ich auch den Kontakt zu meiner Familie per Telefon oder Videocalls. All das hilft mir dabei, zurecht zu kommen und Stress abzubauen. Leider ist meine Work-Life-Balance total verloren gegangen. Ich arbeite als User Experience Designer in einem Healthcare Technologie-Unternehmen. Wir arbeiten jetzt sieben Tage die Woche, fast immer bis spät abends. Unsere Gehälter wurden um 30 Prozent reduziert.

Doch andere sind viel schlechter dran: Wachmänner oder Haushaltshilfen zum Beispiel sollen jetzt meistens gar nicht mehr zu ihren Arbeitsstellen kommen. Viele ihrer Arbeitgeber, oft private Haushalte, zahlen ihnen die Löhne allerdings trotzdem weiter oder geben ihnen zumindest genug Geld, um Essen zu kaufen. Dann gibt es jedoch auch die Tagelöhner, die besonders unter der Krise leiden. Die meisten haben jetzt beschlossen, hunderte Kilometer zu Fuß nach Hause in ihre Dörfer zu gehen, weil wegen des Lockdowns keine Transportmittel mehr fuhren. Ich habe gehört, dass einige Menschen sie auf dem Weg mit Essen versorgt haben, um ihnen zu helfen.

Ich bin froh, dass die indische Regierung sich so früh zu einem Lockdown entschlossen hat, um das Corona-Virus einzudämmen. Es hätte allerdings eine bessere Planung und Kommunikation geben müssen: Auf dem Dorf verstehen viele Menschen die Situation nicht. Wenn ein Krankenwagen kommt, um medizinische Tests durchzuführen, bekommen die Leute dort Angst, greifen das Gesundheitspersonal an, oder laufen weg.

In Bangalore sehe ich die deutlichste Veränderung am Wetter und der Luft. Eigentlich ist es jetzt im Sommer richtig heiß, aber überraschenderweise sind die Temperaturen viel angenehmer, weil die Industrie und der Verkehr so stark eingeschränkt sind. Auch die Luftqualität ist viel besser und der Verkehrslärm reduziert. Ich kann morgens die Vögel hören und freue mich täglich über die sauberen, leeren Straßen. Ehrlich gesagt mache ich mir inzwischen Sorgen darüber, wieder in den normalen Alltag überzugehen und damit auch die Luft- und Lärmverschmutzung in Bangalore wieder zu haben. Der Himmel war in den acht Jahren, die ich hier lebe, noch nie so blau wie jetzt.“

In Indien gibt es bisher laut der Johns Hopkins Universität 31.332 Fälle von Menschen, die mit dem Corona-Virus infiziert sind, und 1.008 Todesfälle (Stand 29. April).

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„Homeoffice ist ein Luxus, den sich die wenigsten in Äthiopien leisten können“

Äthiopien, Addis Abeba, Henning Neuhaus, 29, Mitarbeiter für die Stiftung Menschen für Menschen: „Seit mehr als einem Monat arbeite ich nun im Homeoffice in Addis Abeba, der Hauptstadt Äthiopiens. Vor der Corona-Krise war es eine meiner Hauptaufgaben, in die Projektgebiete der Stiftung Menschen für Menschen zu reisen und dort unsere Arbeit zu dokumentieren. Das vermisse ich im Moment am meisten, denn es ist das ländliche Äthiopien in all seiner Vielseitigkeit, was meinen Beruf so spannend macht. Homeoffice ist ein Luxus, den sich nur die wenigsten Menschen in Äthiopien leisten können. Viele leben von der Hand in den Mund und sind auch in der aktuellen Krise darauf angewiesen, täglich ihre Arbeit zu tun, um mit ihren Familien zu überleben, wie etwa die Schuhputzer.

Für mich ist in dieser Zeit unsere WG zu einer Ersatzfamilie geworden und ich will mir gar nicht vorstellen, wie es wäre, alleine daheim zu sein. Wir kochen gemeinsam, treiben auf unserer Terrasse Sport und haben unser Wohnzimmer in ein schönes Büro verwandelt.

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Als sich die Lage Anfang März in Europa zuspitzte und wenig später der erste Fall in Äthiopien bekannt wurde, reagierte die Regierung sofort, schloss Schulen und Universitäten. Um auch in den hintersten Winkeln Äthiopiens die Menschen über Covid-19 aufzuklären, wurde unter anderem das Freizeichen bei allen Telefonanrufen durch eine automatische Aufklärungsansage ersetzt. Der Blick nach Europa verstärkt die Angst vor dem Virus. Jedem ist bewusst, dass das äthiopische Gesundheitssystem mit einer hohen Anzahl Infizierter schnell an seine Grenzen stoßen würde – vor allem auf dem Land. Dort ist die Gesundheitsversorgung deutlich schlechter. Indes ist es für die meist bäuerlichen Familien unverzichtbar, ihre Waren auf den gut besuchten Wochenmärkten zu verkaufen.

Trotz einiger Beschränkungen – etwa Maskenpflicht und dem Gebot, Hände zu waschen, bevor man ein Gebäude betritt – geht das Leben in Addis aber weiter wie bisher. Auch die meisten Geschäfte sind geöffnet. Ein „Lockdown“, wie in anderen Teilen der Welt, hätte katastrophale Auswirkungen. Denn einen finanziellen Rettungsschirm für arbeitslose Freiberufler wird es hier eher nicht geben. Im Moment sieht es zum Glück so aus, als würden die Maßnahmen der äthiopischen Regierung greifen und so ist zu hoffen, dass das Land von einer starken Infektionswelle verschont bleibt.“

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In Äthiopien sind nach Angaben der Johns Hopkins Universität 126 Menschen an dem Corona-Virus erkrankt. Es gab bisher 3 Todesfälle (Stand 29. April).

Wegen Corona: „Meine 80. Geburtstagsfeier ist auf nächstes Jahr verschoben“

Schweden, Osby, Arne Rydberg, 80, Anita Hoppeler Rydberg, 79: „Schweden geht einen besonderen Weg in dieser Pandemie, mit sehr wenigen verpflichtenden Einschränkungen. Natürlich fragen wir uns, ob das ein zu großes Risiko ist. Aber das ist ein sehr schwedischer Weg: Man vertraut den Menschen anstatt strenge Einschränkungen gewaltsam durchzusetzen. Wir leben seit Anfang März in freiwilliger Selbstisolation. Das heißt, wir treffen überhaupt keine anderen Menschen mehr und gehen nicht mehr selbst einkaufen. Unsere Lebensmittel kaufen wir online und lassen sie uns liefern. Ein jüngerer Nachbar hilft uns, sodass wir nicht mehr selbst zur Apotheke oder zu anderen Geschäften gehen müssen. Aber wir bleiben nicht nur in unserem Haus. Wir leben sehr nah an einem großen Wald. Dort gehen wir jeden Tag zwei bis drei Stunden mit unserem Hund spazieren.

Alle unsere Verwandten und Freunde, die älter als 70 sind, machen es genauso wie wir. Wir halten mit ihnen über Telefon, Skype und Facebook Kontakt. Noch denken wir, dass diese Isolation relativ einfach zu ertragen ist, aber wer weiß, wie das in drei Monaten sein wird? Schon jetzt vermisse ich, Anita, meinen Chor und ich, Arne, die Bibliothek. Beide vermissen wir Konzerte und Opernaufführungen. Wir lieben Opern und klassische Musik. Doch auch die Angebote im Internet sind überwältigend!

Am meisten fehlen uns unsere Kinder und Enkelkinder. Wir fahren normalerweise einmal pro Woche mit dem Zug nach Malmö, um sie dort zu besuchen. Wir führen ein sehr komfortables und ruhiges Leben. Aber viele unsere Kinder und Enkelkinder haben enorme Probleme. Manche haben sogar ihre Jobs verloren.

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Wir wissen, dass es wichtig ist, dass wir über unsere Gefühle, Ängste und anderen emotionalen Reaktionen sprechen und haben uns vorgenommen, dass wir uns in dieser Zeit besonders liebevoll und entgegenkommend behandeln und rücksichtsvoll miteinander umgehen.

Gerade hatte ich, Arne, meinen 80. Geburtstag und eigentlich hätten wir eine ganze Woche voller verschiedener Feiern mit Familie und Freunden geplant. Aber daraus wurde nichts. Doch die Geburtstagsfeiern sind nicht abgesagt, wir haben sie einfach aufs nächste Jahr verschoben. Dann hat auch Anita ihren 80. Geburtstag und wir können zusammen feiern.“

In Schweden sind laut der Johns Hopkins Universität 19.621 Menschen an dem Corona-Virus erkrankt und 2.355 daran gestorben (Stand 29. April).

imago images/Ikon Images

Das Corona-Virus betrifft Menschen weltweit. Die Auswirkungen unterscheiden sich jedoch.

Protokolle: Astrid Ehrenhauser und Morgane Llanque

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