Botanischer Garten auf Teneriffa

Wie eine Müllhalde zum Palmengarten wurde

Wo jahrelang Müll im Meer vor Teneriffa landete, gedeihen heute seltene Pflanzen. Das ist auch Carlo Morici zu verdanken. Ein Besuch im „Palmetum“.

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Mächtig thronen Kokospalmen, Ölplamen und Bananenbäume über dem Atlantik vor Santa Cruz. Der botanische Garten „Palmetum“ hütet Europas größte Sammlung von Inselpalmen. Verborgen, tief unter ihnen: meterhohe Schichten Siedlungsabfälle und Bauschutt. Denn hier im Nordosten der spanischen Kanareninsel Teneriffa kippte in den 1970er-Jahren die Küstenstadt Santa Cruz ihren Müll einfach ins Meer. Die Deponie wuchs zum Berg „El Lazareto“, schuf Land im Ozean. Schädliche Gase wehten in die expandierende Stadt, die schließlich 1983 beschloss, die Deponie zu schließen. Doch weiterhin fegte der Wind Staub und Gestank überallhin.

Dass auf den zwölf Hektar künstlich geschaffenen Lands nun seltene Palmenarten und andere Pflanzen gedeihen, ist auch Carlo Morici, dem heutigen Direktor, zu verdanken. An einem sonnigen Tag im März führt er durch den Park. „Die Palmen“, sagt Morici, „sie sprechen mit mir, sie ziehen meine Aufmerksamkeit auf sich.“ Selbst wenn er Gedanken nachhängt, für einen Moment die Schönheit um sich vergisst, auf die er so stolz ist, und mit dem Blick nach unten, auf die asphaltierten Wege, durch den Park eilt. „Selbst dann bekomme ich mit, was sie mir sagen möchten. Entweder strahlen sie oder sie rufen nach Hilfe. Hier etwa.“ Er greift zwischen Palmwedel, rupft totes Geäst heraus. Die schwielige gebräunte Haut der Finger, die von Erdspuren umrandeten Nägel erzählen von all den Stunden, die er hier geharkt und gesät hat.

Als Student kam der heute 47-jährige Morici aus Sizilien ins spanische Teneriffa, kaufte sich später auf dem Land ein Haus mit großem Garten, vielen Obstbäumen. „Ich verbringe mehr Zeit mit Pflanzen als mit Menschen.“ Zu jedem Gewächs im Palmetum weiß er eine Anekdote zu erzählen. Etwa über jene Palme, die 1986 in einem Garten auf der südpazifischen Insel Vanuatu wiederentdeckt wurde. „Eigentlich galt sie als ausgestorben“, sagt er, während er über den rauen Stamm streichelt. Ernst wirken die Augen unter den dunklen Brauen. Doch wenn er von seinen Palmen erzählt, zieht ein Lächeln seine Mundwinkel nach oben. Manche der Samen hat er selbst gesammelt, ist viel herumgekommen: Mehrmals war er in der Karibik, zweimal auf Hawaii und Neukaledonien.

Morici liebt Palmen. Besonders die Rotblattpalme Chambeyronia houailouensis, heimisch in Neukaledonien.
Foto: Astrid Ehrenhauser

Frühe Leidenschaft für Palmen

Moricis Leidenschaft für Botanik keimt früh. Als er vier ist, möchten seine Großeltern im sizilianischen Messina einen Garten anlegen. Carlo hört sie enthusiastisch über Hibiskus und Ficus fachsimpeln, seine Neugier ist geweckt. Mit elf Jahren beginnt er, Pflanzen zu sammeln, mit Nachbarskindern zu tauschen, verschlingt Bücher zu Botanik. Als Teenager entdeckt er den botanischen Garten Messinas, einen Ort mit moderatem, mediterranem Klima. Er hilft als Freiwilliger mit, schließt Freundschaften. Seine Eltern, der Vater Richter, die Mutter Lehrerin, ermöglichen es ihm, mit 15 nach Miami zu reisen und dort den tropischen botanischen Garten Fairchild zu besuchen, der ihm später als Vorbild für das Palmetum dienen soll. Schon mit 17 tritt er in die International Palm Society ein, erwirbt vier Jahre später die Lebensmitgliedschaft, vernetzt sich. Als ein sizilianischer Freund zum Studium nach Teneriffa zieht, tut Carlo es ihm gleich und studiert an der Universität La Laguna Biologie. Bald bildet er mit Wissenschaftler:innen, Palmenliebhaber:innen und Baumschulenbesitzer:innen eine Art lockeren Palmen-Club. Teneriffa wird seine Heimat, er heiratet, bekommt eine Tochter, lässt sich scheiden. Seine Konstante: das Projekt Palmetum.

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Mitte der 1990er ahnt der junge Student noch nicht, dass er die Hälfte seines Lebens damit verbringen wird. Ein Landschaftsingenieur, Manuel Caballero, hat damals die Vision, aus der unwirtlichen ehemaligen Müllhalde einen botanischen Garten zu machen. Immerhin die Lage, zur Hälfte umschlossen vom Meer, schien ideal: hohe, konstante Luftfeuchtigkeit, mäßige Temperaturen, viele Sonnenstunden. Und, so die Kalkulation, wenn man dadurch das Problem des Schutt- und Abfallhaufens vor Santa Cruz lösen könne, gäbe es vielleicht Fördermittel.

Tatsächlich fließen fast vier Millionen Euro EU-Gelder, mit denen Caballeros Leute, darunter auch Morici, 1996 loslegen: Sie schaffen ein Abluftsystem mit Schächten, Pumpen und einer Feuersäule, um das aus dem Müll austretende Methangas abzuleiten und zu verbrennen, schichten fruchtbare Erde auf, bepflanzen sie. Nach vier Jahren wachsen dort 400 Palmenarten. Doch das Geld ist knapp, Anfang der 2000er muss das Projekt zeitweise pausieren. Auch die Gase des Mülls machen den Palmen weiter zu schaffen, weniger widerstandsfähige Pflanzen gehen ein. 2010 trifft die globale Finanzkrise auch Teneriffa. Über ein spanisches Investitionsprogramm gibt es erneut vier Millionen Euro, 2013 zeigt Morici in nur drei Monaten 2.500 Inselbewohner:innen den noch unfertigen Park. Bezahlt wird er nicht, arbeitet zusätzlich als Landschaftsplaner.

Königlicher Besuch verändert alles

Das Jahr 2014 verändert alles: Prinz Felipe und Prinzessin Letizia von Spanien kündigen einen Besuch an. Santa Cruz macht 100.000 Euro locker, fast alle Gärtner:innen der Stadt packen mit an. Während Wolken und Nieselregen über dem Park hängen, frischen sie die Böden mit Mulch und Steinen auf, befestigen Hunderte Schilder, schreiben Texte und Bilder für die Eingangshalle, streichen Bänke. „Ich war hypernervös. Wir hatten nur zwei Wochen Zeit“, erinnert sich Morici. Fotos von dem großen Tag zeigen ihn, breit grinsend, in grauem Anzug und gestreifter Krawatte, wie er Felipe und Letizia Töpfe mit Palmensetzlingen zeigt und das Paar eine Roystonea princeps pflanzt, die „Prinzessin der Königspalmen“. In ihrem jamaikanischen Herkunftsland ist die Pflanze bedroht, das Sumpfgebiet, in dem sie heimisch ist, trocknet aus.

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Zwei Tage danach eröffnet der Park offiziell, die Erde liegt noch an vielen Stellen brach. Ende des Jahres bekommt Morici einen festen Vertrag und ein Büro und konzipiert angelehnt an seine Führungen Broschüren für Rundgänge. Eine der Touren zeigt Nutzpflanzen wie den Brotbaum und Kaffee, die andere bedrohte Wildpalmen und seltene Pflanzenarten. Die Wege schlängeln sich den Hügel hinauf, zur Aussicht aufs Meer, unten Teiche mit Kois, Palmen in satten Grüntönen. Über dem zentralen, tiefer gelegenen Achteck spannt sich ein schwarzes, feinmaschiges Netz, es hält Wärme und Feuchtigkeit für die dortigen Pflanzen. Daneben plätschert ein Wasserfall, Schmetterlinge flattern umher, es tschilpt und zwitschert. Immer mehr Vögel, darunter seltene, auch nicht heimische, haben sich angesiedelt, mittlerweile fast sechzig Arten: Wanderfalken, Trauerschnäpper, Kanarenpieper. Seit 2007 setzt der Park auf ökologische Bewirtschaftung ohne Herbizide. Mulch aus Grünschnitt senkt die Bodentemperatur, liefert Nährstoffe und hält die Erde feucht. Gegossen wird mit dem wiederaufbereiteten Abwasser aus der städtischen Kläranlage.

573 Palmenarten beherbergt das Palmetum.
Foto: Astrid Ehrenhauser

Unesco-Preis für das Palmetum

Mittlerweile besuchen jährlich mehr als 100.000 Menschen den Park, vor allem aus dem Ausland, viele kommen für einen Tagesausflug von Kreuzfahrtschiffen. Das Budget ist immer noch eng. Über Ticketerlöse, und weil die Stadt die Gärtner:innen stellt, kommen sie über die Runden. Dabei ist der Garten in der Palmen-Szene renommiert, Morici veröffentlichte mehrere Artikel in Fachzeitschriften, reiste zu internationalen Konferenzen.

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Die Unesco zeichnete den Ort 2016 mit dem Preis für Gute Praxis aus. Von den 2.300 Pflanzenarten des Palmetums sind 573 Palmen, manche schlank und hochgewachsen, andere strauchartige Zwerge, ein Teil kletternd mit Stacheln und Haken. 192 von ihnen sind laut der Roten Liste der Weltnaturschutzunion IUCN bedroht. Stolz ist Morici vor allem auf die Coccothrinax-Sammlung, weltweit eine der umfassendsten. Die Gattung ist in der Karibik heimisch, manche der Arten sind stark gefährdet. Die steifen Blätter mit silbriger Rückseite der Coccothrinax borhidiana inspirierten das Logo des Palmengartens.

Carlo Morici und Kollege Omar Delgado mit Kokosnüssen.
Foto: Astrid Ehrenhauser

Als 1996 die ersten Arbeiten für den Park begannen, hatte die IUCN gerade den Palm Conservation Action Plan veröffentlicht, der die Bedeutung der Palmen für Ökosysteme betont. „Wir erhalten hier seltene Arten, weil wir es müssen“, sagt Morici. Direkt am Eingang etwa sprießen Pflanzen aus dem Naturschutzgebiet des Anaga-Gebirges im Nordosten Teneriffas. Der dortige Trockenwald wurde so stark abgebrannt und abgeholzt, dass er nur noch fünf bis zehn Prozent seiner früheren Fläche hat. „Warum sollten wir noch mehr hübsche Blumen säen, wenn es andere Pflanzen sind, die uns wirklich brauchen?“, sagt Morici. „Am Ende liegt die Schönheit in den Augen der Palmen, nicht in den Augen des Betrachters.“ Es geht ihm um Artenschutz, um jene Pflanzen, die nicht ohnehin in Ziergärten kultiviert werden. „Wir öffnen den Menschen die Augen für Biodiversität. Das hier ist kein Garten, das ist ein Podest für manche der wertvollsten Pflanzen der Welt.“ Zusätzlich zeigt das kleine Museum des Parks die wirtschaftliche und kulturgeschichtliche Bedeutung von Palmen mit ihren Rohstoffen wie Palmöl, aber auch ihren medizinischen Nutzen und historische Palmblätter-Manuskripte.

Es ist früher Nachmittag, ein paar Mitarbeiter rufen Carlo Morici. Gerade haben sie drei Kokosnüsse abgeschnitten, die bedenklich schwer über dem Pfad der Tour baumelten. Omar Delgado, seit 2018 im Palmetum, schneidet geschickt kleine Stücke aus der reifen Frucht, verteilt sie an seine Kollegen. Eine Kokosnuss reicht er Morici. Der drückt sie sich an die Brust, eilt zum Ausgang. Er ist spät dran. Seine Expertise ist gefragt, jemand möchte einen neuen Park anlegen. Und damit kennt sich Carlo Morici seit mehr als zwanzig Jahren aus.

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Fotos: Astrid Ehrenhauser

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