Man kommt aus dem System aktuell nicht raus. Zumindest empfinde ich das so. Ich bin wütend. Ich arbeite seit 2012 in einer Werkstatt mit mehreren Standorten. Zunächst war ich im sogenannten Berufsbildungsbereich beschäftigt. Dort lernt man die Aufgaben und Schwerpunkte des Betriebs kennen. Man kann sich orientieren und gemeinsam mit den Betreuer:innen entscheiden, wo man arbeiten möchte. Ich habe mich für einen handwerklichen Job entschieden und arbeite mit Metall. Elf Kolleg:innen und ich werden von einer Gruppenleiterin betreut. Zudem gibt es Sozialarbeiter:innen und eine Psychologin, die sich um uns kümmern. Ich arbeite von Montag bis Donnerstag jeweils von 7.25 Uhr bis 15 Uhr.
Praktika sollen Perspektiven schaffen im Werkstätten-System
Die Situation in der Werkstatt ist derzeit angespannt. Das hat nicht nur mit Corona zu tun. Es fehlt oft an Personal und Zeit. Gleichzeitig wünsche ich mir, selbstständiger zu arbeiten. Ich glaube, dass behinderte Menschen diesbezüglich echt unterschätzt und zu wenig gefördert werden. Viele Kolleg:innen und ich sitzen zwischen Baum und Borke. Es gibt sicherlich viele, die sich im Werkstätten-System wohlfühlen und dort auch bleiben möchten, aber es gibt auch viele, die in den ersten Arbeitsmarkt wollen.
Dabei sollen etwa Praktika helfen. Das ist dann ein sogenannter Außenarbeitsplatz der Werkstatt. Doch oft scheitert es an strukturellen Dingen. Ein persönliches Beispiel: Ich würde gerne in der Pflege arbeiten, das traue ich mir zu. Schichtarbeit und Wochenenddienste sind dort normal, auch im Praktikum, deshalb wollte das letztlich die Werkstatt nicht und mit dem Praktikum hat es nicht geklappt. Diese Enttäuschung kenne nicht nur ich. Kolleg:innen ist es so oder so ähnlich ergangen. „Man wird sowieso verarscht“, sagen viele. Das macht keinen Mut.
Werkstätten für behinderte Menschen brauchen Feedback-Kultur
Um solche Probleme anzusprechen, braucht es eine Feedback-Kultur mit regelmäßigen Gesprächen. Ich sollte eigentlich monatlich einen entsprechenden Termin haben. Funktioniert hat das aber erst ein- oder zweimal.
Was mir noch sehr wichtig ist: Man lebt am Existenzminimum. Neben dem monatlichen Gehalt von der Werkstatt, 346 Euro, bekomme ich eine Grundsicherung vom Sozialamt und weitere Leistungen. Wenn ich mehr als 5.000 Euro auf dem Konto habe, stoppt das Amt die Zahlungen. Mehr darf ich nicht besitzen. Es wird oft danach gefragt, wie viel Geld ich habe, ob ich noch Geld zu Hause habe. Diese permanente Kontrolle, die fehlende Selbstbestimmung, das empfinde ich als beschämend. Rundfunkgebühren muss ich trotzdem bezahlen. Warum ist es nicht möglich, dass man statt all der einzelnen Überweisungen einen einheitlichen Lohn bekommt?
Ich finde trotz allem, dass die Werkstätten für behinderte Menschen sinnvoll sind. Sie müssten nur mehr dazu ermutigen, selbstständiger und selbstbewusster zu werden. Und alle, die in den ersten Arbeitsmarkt wollen, verdienen endlich eine faire Chance. Es gibt bestimmt viele Unternehmen, die dabei helfen können und wollen.
Anmerkung der Redaktion: Der Name der:des Gastautor:in wie auch der Arbeitsort sind der Redaktion bekannt.
Lebenshilfe-Werkstätten wie hier in Gera, Thüringen, sollen Menschen mit Behinderungen die Möglichkeit geben, am Arbeitsleben teilzuhaben. Gezahlt werden allerdings oft nur geringste Löhne.