Indigener Umweltschutz weltweit

Die Pioniere der Nachhaltigkeit

Viele indigene Völker leben seit jeher nachhaltig. Doch anstelle von ihnen zu lernen, werden sie diskriminiert, verdrängt und ermordet. Auch in der aktuellen Coronakrise sind sie besonders gefährdet.

Indigene Rechte = Klimagerechtigkeit“, schrieb Greta Thunberg am 18. Februar 2020 auf Twitter. Damit machte die Aktivistin auf den Kampf von Angehörigen des indigenen Stammes der Wet’suwet’en in Kanada aufmerksam: Sie kämpfen gegen eine Pipeline in ihrem Territorium, die Erdgas ins Innere des Landes befördern soll. Im Februar 2020 blockierten die Demonstrant*innen – Stammesangehörige, aber auch Angehörige anderer indigener Gruppen und nicht-indigene Kanadier*innen,die sich mit ihnen solidarisierten – Straßen und Zugschienen im Bundesstaat British Columbia im Westen des Landes. Die Polizei nahm mehr als zwei Dutzend Menschen fest, um den Weg für die Bauarbeiten frei zu machen. Doch überall in Nordamerika gingen Menschen auf die Straße, um für die Rechte der Wet’suwet’en zu demonstrieren. Es geht den Wet’suwet’en bei ihrem Protest um zwei Dinge: Den Schutz der Natur vor weiterer Ausbeutung und den Schutz ihrer Lebensräume und ihrer Autonomie.

Indigene Perspektiven: Umweltschutz als zentrales Thema

Thunbergs Tweet brachte eine schlagartige Aufmerksamkeit, die indigenen Gruppen im Allgemeinen verwehrt bleibt. Die meisten Menschen in und außerhalb der Fridays-for-Future-Bewegung wissen nicht, dass sich junge, indigene Aktivist*innen in Kanada, Brasilien, Indien, Äthiopien und überall auf der Welt schon lange vor Greta Thunberg für Umweltschutz stark gemacht haben. Stämme wie der der Wet’suwet’en sind in ihrer Lebensweise und ihrer Sicherheit viel unmittelbarer vom Klimawandel und der Ausbeutung der Umwelt bedroht als die meisten Menschen.

Viele Indigene werden verjagt und ermordet, weil ihre Lebensräume in Gegenden wie etwa dem brasilianischen Amazonas reich an Rohstoffen wie Gold oder Anbauflächen für Ölpalmen und Tropenholz sind. Um diese Schätze auszubeuten, dringen immer wieder von Firmen bezahlte Banden gewaltsam in die Territorien vor, ermorden indigene Anführer*innen und Aktivist*innen und verjagen die Stämme. Viele der zuständigen Regierungen widmen sich dem Thema oft nur zögerlich. In Brasilien ermutigte Präsident Jair Bolsonaro die Eindringlinge sogar dazu, die rechtlich geschützten Territorien zu betreten. Er versucht schon länger, den Schutz der Gebiete aufheben zu lassen. Ende Februar wurde ein entsprechender Gesetzesvorschlag von der Regierung vorgelegt. Seine Verachtung versteckt der rechtsextreme Politiker nicht: Er äußerte sich bereits mehrfach rassistisch über die indigenen Bürger*innen Brasiliens, auch lange vor seinem Amtsantritt 2019.

Jetzt, wo das Coronavirus sich auch in Brasilien ausbreitet, droht laut Sydney Possuelo, dem ehemaligen Leiter der brasilianischen Indigenenschutzbehörde Funai, über einer halben Million indigener Menschen in Brasilien ein schwerer Krankheitsverlauf: Gerade die isolierten Stämme seien seiner Erfahrung nach nicht in der Lage, Antikörper für ein importiertes Virus wie etwa Covid-19 zu entwickeln, sagte er in einem Interview mit dem Spiegel. Bisher hat Funai laut Possuelo keinerlei Anweisung erhalten, die Stämme vor dem Virus zu warnen, oder noch besser, deren Gebiete abzuriegeln, damit jeder Kontakt vermieden wird.

Diskriminierung und Zwangsadoption

Die Geschichte könnte sich also wiederholen: Indigene Menschen weltweit wurden durch die europäische Kolonialisierung mit eingeschleppten Krankheitserregern infiziert und dezimiert. Sie wurden in Lagern zwangsadoptiert, umerzogen und missbraucht. Auch heute sind sie einer permanenten Diskriminierung ausgesetzt. Die einen belächeln die Naturverbundenheit und die Ästhetik der Kleidung und Kultur mancher Stämme, andere wiederum erklären sie dafür zu Exoten und reduzieren sie auf ihre äußerlichen Attribute, die sie sich auf Karnevalsumzügen aneignen.

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Gegen all diese Missstände treten indigene Aktivist*innen weltweit ein: Da ist etwa die 17-jährige Quannah Chasinghorse, die den erfolgreichen Protest gegen eine geplante Ölpipeline der Trump-Regierung im Arctic National Wildlife Refuge in den USA mit anführte und das Cover der aktuellen Ausgabe ziert. Oder Xiye Bastida, eine Angehörige der Otomi-Toltec, die mit ihrer Familie von Mexiko nach New York flüchten musste, weil ihre Heimatstadt erst von extremen Überflutungen und dann von einer dreijährigen Dürre heimgesucht wurde. Sie ist eine der wichtigsten Akteur*innen von Fridays for Future New York City.

Aber es geht nicht nur darum, indigenen Aktivismus mehr in das Zentrum der Bewegung zu stellen. Es geht auch darum, das wertvolle Wissen, das indigene Menschen seit Tausenden von Jahren über Nachhaltigkeit, Umweltschutz und den Umgang mit Naturkatastrophen kultiviert haben, im Kampf gegen die Klimakrise einzusetzen: Die Moken aus Thailand zum Beispiel können Tsunamis so gut voraussagen, dass sie bei dem großen Tsunami von 2004 ihre Siedlungen vor der Katastrophe vollständig evakuieren konnten. Andere indigene Völker sind Experten für Biodiversität und können Getreide so züchten, dass es auf natürliche Weise immun gegen Schädlinge ist.

In Australien haben die Aboriginal People über Tausende von Jahren effektive Techniken entwickelt, um Buschfeuer-Katastrophen zu verhindern. Es gilt gerade jetzt, den Wissensschatz indigener Völker weltweit zu würdigen und ihre Anliegen vorzustellen. Sie sollen dabei vor allem selbst zu Wort kommen und ihre Visionen, Traditionen und Errungenschaften für Nachhaltigkeit, Wissenschaft, Technologie, Kunst und Politik vorstellen. Auch wenn Greta Thunbergs Gleichung „Indigene Rechte = Klimagerechtigkeit“ einen Teil der Wahrheit abbildet, so ist sie doch viel zu einfach. Denn indigene Rechte und Perspektiven können nur geschützt und berücksichtigt werden, wenn auch die politische Teilhabe und Sicherheit derer gewährleistet wird, die als erste hier waren.

Illustration: Katja Gendikova

Indigene Menschen weltweit werden diskriminiert und ihrer Rechte und ihres Landes beraubt.

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