Feministische Buchhandlung

Ein Ort für vergessene Göttinnen

Viele Bücher von Frauen aus dem 20. Jahrhundert sind in Vergessenheit geraten. Bei Persephone Books im südenglischen Bath kann man sie wiederfinden.

Der Regen prasselt auf das Kopfsteinpflaster von Bath. Alles hier ist sandfarben: die Trenchcoats, die die Brit:innen so lieben, die mittelalterlichen Häuser und Brücken, die Kathedrale, die antiken Bäder der Römer:innen, die der Stadt in Südengland ihren Namen gegeben haben. Und das Haus Nummer 8 der historischen Edgar Buildings. In den Sandstein eingebettet leuchtet die himmelblaue Holzfassade des Persephone Bookshop. Der Buchladen ist einer von vielen, der in der Literaturstadt Bath täglich eine große Kundschaft von Bibliophilen anzieht, aber er ist doch anders als alle anderen.

Im südenglischen Bath findet man den besonderen Buchlanden: Persephone Books, Foto: IMAGO / Danita Delimont

Im Schaufenster wacht ein Mannequin in einem blauen Kleid der Vierzigerjahre; in den mit Stuck besetzten Innenräumen stapeln sich Büchertürme inmitten von Kelims, Blumensträußen und Vintage-Porzellan. Ihre Umschläge haben ein eigentümliches Design: schlichtes Hellgrau, wie das von Nonnen-Gewändern oder Business-Kostümen. Nimmt man ein Buch heraus und schlägt es auf, kommt jedoch die prächtige Innenseite zum Vorschein: karmesinrotes Paisley, goldene Blumen, Streifen im Colour Block – ein Muster, das aus dem Jahr der Erstveröffentlichung stammt, passendes Lesezeichen inklusive. Statt eines Covers schmücken die Bücher nur Titel und Autor:innennamen. Fast alle von ihnen sind unbekannt. Und weiblich.

„Wir haben eine besondere Fangemeinde von jungen Frauen, die gerne Teekleider tragen und Englisch studieren. Aber es kommen mehr Männer, als man denkt. Sie sind begeistert, wenn sich ihnen bei uns ein Literaturkanon offenbart, von dem sie in der Schule nie gehört haben.“

Das sagt Francesca Beauman, die Inhaberin von Persephone Books, einem Laden, den ihre Mutter vor 25 Jahren gegründet und berühmt gemacht hat, spezialisiert auf vergessene Autorinnen des 20. Jahrhunderts. „Es war ein Jahrhundert der Kriege“, sagt Beauman, „ein Jahrhundert, in dem die Frauen zu Hause die Verantwortung, die Geschäfte übernehmen mussten. Viele von ihnen erlebten eine neue Freiheit, entdeckten ihre Sexualität. Von dieser Perspektive wissen wir so gut wie nichts. Deshalb haben wir es uns zur Aufgabe gemacht, den Staub der männlich dominierten Buchwelt aufzuwirbeln.“

Francesca Beauman ist Inhaberin des Buchladens, den ihre Mutter vor 25 Jahren gegründet hat, Foto: Persephone Books

Die brünette Frau in ihren Vierzigern mit strahlend blauen Augen spricht – wie sollte es anders sein – ein sehr feines Englisch. Sie sieht entsetzt aus, wenn man ihr erzählt, dass man während der gesamten Gymnasialzeit kein einziges Buch einer deutschen Autorin vorgesetzt bekam, sondern genau wie die eigene Mutter Bertolt Brecht, Thomas Mann, Johann Wolfgang von Goethe und Franz Kafka.

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Dabei ging es Beauman nicht viel anders, sagt sie, nur dass sie eben William Shakespeare und Oscar Wilde gelesen habe. Aber sie ist doch Engländerin! Sie hat doch sicherlich wenigstens Jane Austen, Mary Wollstonecraft (die beide eine Zeitlang in Bath gelebt haben) und Agatha Christie gelesen! „Das stimmt“, gibt Beauman zu, „doch die englischsprachige Literatur hat noch viel mehr Schriftstellerinnen zu bieten, die es zu entdecken gilt.“

Das favorisierte Genre von Persephone Books – benannt nach der griechischen Göttin, die die Hälfte des Jahres in einer Zwangsehe mit Hades in der Unterwelt weilt und in der anderen den Frühling in die Oberwelt bringt – bezeichnet Francesca Beauman als „domestic feminism“. Der Kampf um weibliche Selbstbestimmung, Individualität und Freiheit, der in den eigenen vier Wänden stattfand.

Ein erfolgreicher Titel des Buchladens ist zum Beispiel To Bed with Grand Music von Marghanita Laski aus dem Jahr 1946, in dem es um weibliche Lust in Kriegszeiten geht. Die Protagonistin, deren Mann im Ausland kämpft, langweilt sich auf dem englischen Land, legt sich also einen Job in London und einen kleinen Harem an Liebhabern zu. „Unsere Bücher müssen Page-Turner sein“, sagt Beauman.

„Wir suchen nach einem starken Plot, viel Charakterisierung, einer Analyse des häuslichen Lebens, das in männlichen Büchern oft ignoriert wird. Wir verlegen und wiederveröffentlichen Bücher, die uns einen Blick in das Privatleben der Suffragetten geben oder in die Hinterzimmer des Berlins der Zwanzigerjahre.“

Aber wie findet man diese Bücher? Das englische Magazin The New Statesman bezeichnete die Damen von Persephone Books in einer Rezension einmal respektvoll als „erudite magpies“, zu deutsch „gelehrte Elstern“. Frauen, die mit Hingabe literarische Schätze ausfindig machen und sie dann stibitzen.

So schwer sei das gar nicht, sagt Beauman, die selbst Historikerin und Autorin mehrerer Bücher ist (zum Beispiel über die Geschichte der Ananas, begehrtes Statusobjekt in der Aristokratie des britischen Empires). „In Antiquariaten findet man massenhaft vergessene Bücher. Das Schwierige ist, die wirklich guten Bücher zu finden. Denn natürlich geraten auch viele Werke in Vergessenheit, weil sie schlecht waren.“

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Und wie kommt es, dass nicht alle Namen auf den hellgrauen Folianten weibliche Namen sind? Auch männliche Autoren, die es wert seien, gelesen zu werden, wurden vergessen, sagt Beauman, allerdings komme dies wesentlich seltener vor als bei Frauen. Diese männlichen Schriftsteller haben ebenso die Sphäre des Familiären und Häuslichen untersucht, zum Beispiel R.C. Sherriff in The Fortnight in September, eine Geschichte über einen Familienurlaub am Meer und die Magie des Alltäglichen.

Doch egal ob ein Mann oder eine Frau einen Roman geschrieben hat, lange galt ein Erzählung erst dann als groß, wenn sie sich in rein männlichen Domänen abspielte. „Es gibt ein berühmtes Zitat von Virginia Woolf, in dem sie sagt, dass ein Buch nur als relevant eingestuft wird, wenn die Handlung auf einem Schlachtfeld spielt, und als irrelevant, wenn sie in einer Küche stattfindet. Diese Tendenz sehen wir bis heute.“

Beim Stöbern in den hellen Holzregalen von Persephone Books fällt jedoch noch eine Abwesenheit auf: Obwohl das frühe 20. Jahrhundert der Zeitraum der größten Ausdehnung des brutalen britischen Imperiums war und die englische Sprache sich so auf dem ganzen Planeten verbreitete, stammt jeder einzelne Titel von einer weißen Person. Eine Tatsache, die Beauman besonders schmerzt.

„Genauso wie sich die bis heute auch in England anhaltende Diskriminierung von Frauen in ihrer historischen Unsichtbarkeit ausdrückt, finden wir in der anglophonen Weltliteratur nur sehr wenige nicht weiße Stimmen.“ Und am seltensten treffe man in der Literaturgeschichte auf nicht weiße Frauen.Diejenigen, die es gibt, etwa Gwendolyn Brooks, die 1950 als erste Schwarze Frau den Pulitzer-Preis erhielt, wurden von den großen Verlagen bereits entdeckt.

„Bücherschreiben ist immer ein Privileg, das Geld, Zeit und Freiheit erfordert. Frauen of Colour hatten all dies nicht. Sie waren damit beschäftigt, ihre Kinder zu schützen, nicht von der Polizei diskriminiert zu werden, irgendwie durch den Alltag zu kommen. Deshalb ist es wichtig, dass wir diese Epoche nicht idealisieren“, sagt Beauman.

Die Fangemeinde von Persephone Books ist international, doch der Brexit erschwert die Sendung von Büchern nach Europa, Foto: IMAGO / imagebroker

Gerade hat Persephone Books 25 Jahre Jubiläum gefeiert. Über drei Tage lang füllten sich die Räume des Buchladens mit mehr als tausend Teilnehmenden. Sechzig Vorträge, siebzig Buchvorstellungen, Konzerte und Buchclubs. Beauman strahlt: „Am schönsten war unser Pop-up-Tee- salon, in dem sich Fremde mit einer Tasse Tee hinsetzen konnten und sich schon nach wenigen Minuten über ihre Lieblingsbücher unterhielten.“

Die Fangemeinde von Persephone ist international, die meisten Anhänger:innen habe vor allem der Onlineshop in den USA, Kanada und Australien. In Großbritannien ist der Buchladen, der bis zum Umzug nach Bath 2021 in London zu Hause war, eine kleine Berühmtheit. Bei der Frage nach den britischen Nachbarländern seufzt Francesca Beauman. Der Brexit habe es unglaublich schwer gemacht, nach Europa zu exportieren, die Kosten für den Versand seien so hoch, dass eine Bestellung sich kaum noch rechne. Beauman fühlt sich mit Europa verbunden, insbesondere mit der deutschen Druckerei, in der die hellgrauen Bände gefertigt werden. Nirgends mache man Bücher noch so hochwertig wie in Deutschland, sagt Beauman.

Der Regen in Bath hat aufgehört. Sanfter Jazz säuselt aus den Lautsprechern von Persephone Books. Beaumans 16-jährige Tochter räumt die Regale ein. Macht sich die nächste Generation bereits zur Übernahme auf? Beauman lacht. „Sie steht freiwillig jeden Freitag im Shop. Auch meine Mutter, die nächsten Monat achtzig wird, ist immer noch sehr aktiv in unserem Geschäft. Ohne ihre Vision wären die Frauen in dieser Familie nicht hier.“

Der Literatur-Stundenplan ihrer Tochter sähe schon um einiges besser aus als ihrer, sagt Beauman. Sie lesen in der Schule heutzutage auch Gedichte von Sylvia Plath und die Romane von Margaret Atwood. Es ist ein Anfang.

Foto: Persephone Books

Der Buchladen Persephone Books hat sich auf vergessene Autorinnen des 20. Jahrhunderts spezialisiert. Die Kund:innenschaft, vor allem online, ist international.

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