Sind plastikfreie Kaugummis wirklich nachhaltig?

Nicht so grünes Gummi

Unter Namen wie True Gum oder Forest Gum verkaufen immer mehr westliche Unternehmen angeblich nachhaltige Kaugummis aus Chicle, einem natürlichen Baumsaft aus Lateinamerika. Doch sie beziehen den Stoff von einer Firma, die die mexikanischen Chicle-Bauern betrogen hat. Auf den Spuren einer zweifelhaften Lieferkette.

Eines Tages stand Manuel Aldrete auf der Spitze einer Maya-Pyramide in Guatemala, blickte über die Wipfel des Regenwalds Petén und wunderte sich. „Ich dachte: Warum verkaufen wir nur unverarbeiteten Chicle ins Ausland, statt einen eigenen Kaugummi daraus herzustellen?“, sagt Aldrete.

Schon vor 2.000 Jahren haben die Maya in den Regenwäldern von Guatemala und Mexiko Chicle, das milchige Harz des Chicozapote – auf deutsch Breiapfelbaum – gewonnen und ihn zu einem Naturkautschuk verarbeitet, auf dem es sich hervorragend kauen ließ.

1899 wurde der US-Amerikaner Thomas Adams in Mexiko auf die Kaumasse aufmerksam und begann, Kaugummis aus Chicle industriell in den USA zu vertreiben: Der bis heute führende Kaugummihersteller Wrigley’s schaffte es durch erfolgreiche Vermarktung, Kaugummi zum amerikanischen Markenzeichen zu machen – und zum globalen Massenprodukt.

Die Arbeit machten dabei die Chicleros, Männer aus den indigenen Gemeinden Yucatáns und Guatemalas, die die bis zu 45 Meter hohen Breiapfelbäume mithilfe von Seilen erklimmen und den Saft unter Einsatz ihres Lebens aus der Baumrinde ernten. Den Profit sackten zum großen Teil US-amerikanische Firmen und die mexikanische Regierung ein. Durch verschiedene politische Krisen und Missernten in der Region sowie eine weltweit wachsende Nachfrage nach Kaugummi entschieden sich die US-Hersteller nach dem Zweiten Weltkrieg, auf künstlichen Kaugummi auf Erdölbasis umzusteigen: Die lateinamerikanische Chicle-Industrie brach zusammen. Bis heute kaut die Welt auf Kaugummi aus Plastik und chemischen Weichmachern. Ob er Hubba Bubba, Extra, 5 Gum oder Airways heißt: Fast immer steht dabei der Konzern Mars Wrigley dahinter, der mit seinem Kaugummi-Monopol Milliarden verdient.

Ein Chiclero bei der Ernte. Die Chicozapotebäume zu beernten ist eine gefährliche und anstrengende Arbeit, Foto: Chicza

Bio-Kaugummi im Ursprungsland

Was uns wieder zu Manuel Aldrete und der Maya-Pyramide führt. Der Soziologe Aldrete, der in Mexiko unter anderem mit der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) und der Weltbank an zahlreichen nachhaltigen Forst- und Agrarwirtschaftsprojekten beteiligt war, wurde zu Beginn der 1990er-Jahre von der Lokalregierung des mexikanischen Bundesstaats Quintana Roo zu den Chiclero-Kooperativen auf der Halbinsel Yucatán entsandt. Das Ziel: die natürliche Chicle-Wirtschaft wiederzubeleben. In den Bundesstaaten Quintana Roo und Campeche entstand 2002 unter Aldretes Führung das Consortio Chiclero, ein Zusammenschluss von 52 Kooperativen und über 2.000 Chicleros, das zusammen den weltweit ersten und bislang einzigen zertifizierten Bio-Kaugummi auf den Markt brachte, der von den Kooperativen selbst hergestellt und besessen wird: Das Unternehmen Chicza war geboren.

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Der größte Unterschied zum Chicle-Handel des 20. Jahrhunderts: Die komplette Wertschöpfungskette liegt im Ursprungsland des Rohstoffs. Die Chicleros ernten den Chicle, stellen daraus Kaugummi her und vermarkten und verkaufen ihn selbst. Damit bleibt der größte Teil des Profits bei den Chicleros und ihren Familien und nicht wie früher in den Taschen der Vermittlerfirmen und der ausländischen Kaugummi-Vertriebe. Außerdem wird der mexikanische Regenwald dadurch nachhaltig bewirtschaftet und vor Abholzung geschützt.

Derzeit produziert Chicza nach eigenen Angaben jährlich rund 100 Tonnen Bio-zertifizierten und biologisch abbaubaren Kaugummi in einer kleinen Anlage in Chetumal und macht etwa drei Millionen mexikanische Pesos Umsatz im Jahr (circa 155.653 Euro). Chicza versteht sich als Sozialunternehmen. „Wir investieren jährlich ein Drittel unseres Gewinns in Programme zur Förderung lokaler Unternehmen und Fonds für Bildungsstipendien“, sagt Aldrete. Zum Beispiel, um den Kindern der Chicleros zu ermöglichen, eine Universität zu besuchen, für Frauen-Kooperativen oder um Renten oder die medizinische Versorgung für Chicleros aufzustocken. Die Breiapfelbäume werden nur alle paar Jahre abgeerntet, um die Gesundheit der Bäume zu gewährleisten. Das Unternehmen beliefert weltweit 32 Länder mit seinem Kaugummi – jedoch gibt es ihn erst seit wenigen Jahren in Mexiko selbst. Hierzulande kann man ihn in Biomärkten wie etwa der Bio Company oder dem Avocado Store, aber auch in Rewe-Filialen kaufen.

Dabei sind Chicza schon lange nicht mehr die Einzigen.

Ein neuer Markt

Zwischen 2017 und 2021 formierten sich in Deutschland, der Schweiz, Dänemark und anderen westlichen Ländern auf einmal Dutzende Start-ups mit der gleichen Botschaft. Sie heißen unter anderem True Gum (Dänemark), Tree Gum (Schweiz), Forest Gum* (Deutschland). Sie alle traten per Crowdfunding und unter großem Medienecho mit dem Versprechen an, „den Kaugummimarkt zu revolutionieren“, so das Kölner Start-up Forest Gum auf seiner Website. Weiterhin schreibt Forest Gum: „Um Chicle so schonend und nachhaltig wie möglich zu gewinnen, braucht es die Chicleros (…). Das Beste daran: Die Bäume bleiben stehen. Bis zur nächsten Ernte in 6–8 Jahren können sie deshalb weiter CO2 aufnehmen, Sauerstoff produzieren und etlichen Tieren und Mikroorganismen Nahrung und Heimat bieten. So tragen wir dazu bei, dass ein riesiges Waldgebiet in Mittel- und Südamerika Bestand hat und keiner künstlich angelegten Turbo-Plantage weichen muss.“

True Gum sprach in Interviews von der Entwicklung einer „völlig neuen Art von Kaugummi“ und nennt in seinem Pressekit als seine Mission, „das Kaugummi nachhaltig zu revolutionieren“. Auf seiner Website lassen sich Bilder von Chicleros finden, die in einem leuchtend grünen Regenwald Chicozapote-Bäume erklimmen. True Gum schreibt: „True Gum ist ein sozial verantwortliches Start-up-Unternehmen, das Kaugummi aus dem Saft von Gummibäumen herstellt, die im mittelamerikanischen Dschungel wachsen. Gemeinsam mit lokalen Bauernkooperativen geben wir den einheimischen Chicleros einen Grund, die Bäume des Regenwaldes zu erhalten.“ Start-ups wie Tree Gum (Schweiz) oder Birkengold „Natur Kaugummi“ (Deutschland) sind da ein wenig bescheidener: Sie geben auf ihren Websites nur an, dass ihr Produkt „aus Chicle“, „natürlich“ und plastikfrei ist. Zu sonstigen Details machen sie keine Angaben.

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Denn die Wahrheit ist, dass keines dieser Unternehmen plastikfreie Chicle-Kaugummis erfunden hat. Mehr noch: Niemand von ihnen weiß offenbar, woher ihr Chicle eigentlich genau stammt. Jedenfalls kommen auf Anfragen von Good Impact nach der Bezugsquelle von allen kontaktierten Brands entweder keine oder erstaunliche Antworten. „Unser Produzent Aboaf / AB Natural Base gibt sehr wenig Informationen über seine Lieferkette preis“, sagt Tree-Gum-Gründer David Jaeggi. „Deshalb schreiben wir keine Behauptungen auf unser Label, die wir nicht halten können.“ Dennoch steht bis heute auf der Website von Tree Gum, ihre Mission sei, „einen plastikfreien, 100 % natürlichen, nachhaltigen und in der Schweiz hergestellten Kaugummi auf den Markt zu bringen“. 100 Prozent Nachhaltigkeit bei so wenig Informationen zur Lieferkette?  „Stellt man Herrn Jorge Fong von Aboaf / AB Natural Base unbequeme Fragen zur Herkunft und Herstellung des Chicle, so ist die Antwort: Entweder Sie kaufen mein Produkt, oder eben nicht“, sagt einer der Hersteller.

So sind es mitnichten die Kooperativen der Chicleros in Guatemala und Mexiko, von denen True Gum & Co ihr Chicle direkt beziehen, sondern die mexikanische Firma Aboaf / AB Natural Base. Auf deren Website steht, fälschlich, dass sie der weltweit einzige Anbieter von Kaugummimasse aus Chicle sei. Es handele sich um eine „Öko-Produktion“. Doch Informationen darüber, woher Aboaf / AB Naturla Base sein Chicle bezieht, gibt es nicht. Anfragen von Good Impact ignorierte das Unternehmen bis zum Redaktionsschluss.

Aber warum haben sich die Unternehmen trotz jeder Transparenz auf einen solchen Anbieter eingelassen? Und wer ist Jorge Fong Vázquez? Im Netz findet man kein einziges Bild von ihm, dafür aber wird sein Name in zahlreichen Gerichtsdokumenten und wissenschaftlichen Arbeiten genannt. Es geht um den Verdacht von Betrug, Schmuggel, Dumpingpreisen und Lügen.

Ein Staatsmonopol

Mehrere Wissenschaftler, unter anderem Michael Redclift vom King’s College London (em.) und Michael K. Goodman von der University of Reading, untersuchten in den frühen 2000er-Jahren den Prozess der Wiederbelebung des Chicle-Handels in Mexiko. Die wissenschaftlichen Arbeiten lesen sich wie ein Krimi. Fong war in den 1990er-Jahren der Präsident von Mexitrade Internacional, ehemals ein Staatskonzern, der wiederum aus der Staatsfirma Impexnal hervorging. Impexnal hatte jahrzehntelang quasi ein Staatsmonopol für den Handel von Chicle ins Ausland und musste dafür keine Steuern entrichten.

Nach der Auflösung entstand die Firma Mexitrade Internacional, zu Beginn ebenfalls staatlich. Fortan rieten Impexnals ehemalige Funktionäre ausländischen Investoren gezielt davon ab, ihr Chicle direkt von den lokalen mexikanischen Kooperativen und ihrer Gewerkschaft NUCP zu kaufen, sondern verwiesen auf Mexitrade Internacional.

So sahen sich die Chicleros gezwungen, ihr Produkt zu extrem niedrigen Preisen an Mexitrade zu verkaufen, statt in direktem Handel mit dem Ausland wesentlich mehr damit zu verdienen. Außerdem erreichte Mexitrade durch Lobbyarbeit, dass den mexikanischen Chiclero-Kooperativen hohe Steuern und bürokratische Hürden auferlegt wurden, wenn sie ihr Produkt ohne Zwischenhändler selbst ins Ausland zu verkaufen versuchten. So riss die Firma ein Monopol an sich. Eine Studie aus dem Jahr 2015 der International Union for Conservation of Nature (IUCN), die vom deutschen Umweltministerium gefördert wurde, bestätigt die unlauteren Methoden von Mexitrade ebenfalls. Darin heißt es: „Nach einem Rechtsstreit zwischen der NUCP und Mexitrade ermutigte Mexitrade Zwischenhändler (…), das Chicle direkt von den lokalen Kooperativen zu kaufen und so zu versuchen, die NUCP-Gewerkschaft zu umgehen. Die Zwischenhändler können höhere Preise anbieten als die NUCP, da sie die Kosten für die Bereitstellung von Sozialleistungen für die Chicleros nicht decken.“ Die Studie beschreibt außerdem, wie wertvoll vor diesem Hintergrund die Gründung von Chicza war, da es die Wertschöpfungskette zurück in die Kontrolle der Chiclero-Kooperativen brachte.

Abgiessen: Um die Kaumasse vorzubereiten, wird Chicle stundenlang eingekocht. Foto: Chicza

Aber worum ging es bei dem Rechtsstreit?

Als 1998/99 die Nachfrage aus Japan – dem bisher größten Abnehmer von mexikanischem Chicle – einbrach, weigerte sich Mexitrade laut Redclift und Goodman, eine bereits bei der Chiclero-Gewerkschaft bestellte Großladung Chicle zu bezahlen. Die Chicleros verklagten Mexitrade und seinen Präsidenten Jorge Fong daraufhin erfolgreich. Nach dem Urteil weigerte sich Mexitrade, weiter bei der Gewerkschaft einzukaufen und bezog Chicle stattdessen über die Zwischenhändler – Chicle-Schmuggler, die in Mexiko Coyotes genannt werden. Außerdem beendete Mexitrade 1998 Handelsverträge mit der guatemaltekischen Regierung und den Kaugummiherstellern in Guatemala. Auch diese Vorgänge sind in den Studien von Redclift und Goodman gut dokumentiert.

Auch Manuel Aldrete von Chicza bestätigt das. Ihm zufolge sind die Beziehungen zwischen den mexikanischen Kooperativen und Aboaf / AB Natural Base seit dem Ausbooten der Gewerkschaft völlig zerrütet. Aldrete: „Aboaf hat sich Inhalte und Verfahren des Consortio Chicleros und der ihm angeschlossenen Organisationen angeeignet, unethisch gehandelt, Inhalte verbreitet, die nicht der Realität entsprechen. Die Firma hat das Bild eines sozial verantwortlichen Unternehmens vorgegaukelt, das die Naturkaugummi-Hersteller unterstützt, obwohl diese in Wirklichkeit keine kommerzielle Beziehung zu diesem Unternehmen haben und sein Ansehen bei den Herstellern und den lokalen Genossenschaften alles andere als positiv ist.“

Falsche Versprechen

2009 gab es in Mexiko ein Insolvenzverfahren gegen Mexitrade und dessen Präsidenten Jorge Fong. Das Unternehmen blieb zwar bestehen, Fong gründete aber die Subfirmen Aboaf und AB Natural Base, die immer noch zu Mexitrade gehören, um laut Mexitrades Website „den Vertrieb und die Vermarktung“ von Chicle ins Ausland zu managen. In der mexikanischen Chicle-Branche äußern mehrere Quellen den Verdacht, es sei lediglich zu der Gründung der Subfirmen gekommen, um von der dunklen Geschichte des Unternehmens abzulenken.

Forest-Gum-Gründer Thomas Krüger sagt, er hätte von all dem nichts gewusst. „Wir beziehen derzeit Chicle von Aboaf / AB Natural Base, die seit vielen Jahren ein Hersteller für nachhaltig gewonnene, hochwertige Kaumasse sind, auf die auch weitere namhafte Kaugummi-Hersteller für ihre Produkte setzen. Zusätzlich haben wir bereits zum Start von Forest Gum Chicle direkt bei lokalen Kooperativen bezogen.“

Zwar stimmt es, dass Forest Gum zu Beginn mit einer lokalen Kooperative in Guatemala zusammenarbeitete. Mittlerweile bezieht es jedoch Chicle nur noch von Aboaf / AB Natural Base. Transparent machte die Firma diese Änderung der Lieferkette nicht. Da Aboaf / AB Natural Base seine Quellen jedoch geheim hält, lässt sich nicht unabhängig überprüfen, ob der Chicle des Unternehmens tatsächlich zu Teilen oder überhaupt aus nachhaltiger Wirtschaft stammt, geschweige denn, dass die Chicleros dafür gut oder legal bezahlt werden oder tatsächlich Regenwald damit geschützt wird.

Die sogenannte Gumbase aus dem Naturharz ist braun und zäh. Foto: Chicza

Betrachtet man die Unternehmensstruktur von Aboaf /AB Natural Base noch genauer, taucht außerdem eine weitere Subfirma von Mexitrade auf: Exoticwoods Rainforest Corp. Diese Firma verkauft tropische Edelhölzer wie Mahagoni und das Holz der Breiapfelbäume, die nicht als nachhaltig zertifiziert sind. Kann man von solch einem Unternehmen ein Produkt einkaufen, das man dann True Gum, Tree Gum oder Forest Gum nennt?

Ein weiterer Kunde von Aboaf / AB Natural Base ist Glee Gum, ein US-amerikanischer Naturkaugummi-Hersteller, der bis 2022 auf seiner Website behauptete, Glee Gum sei ein „umweltfreundlicher Kaugummi (…), hergestellt mit Chicle, einem Baumsaft, der nachhaltig geerntet wird, um den Regenwald in Zentralamerika zu erhalten (…), der den Bäumen mehr Wert verleiht, als wenn sie zur Holzgewinnung abgeholzt werden“.

Natur heißt nicht gleich nachhaltig

All diese Sätze sind mittlerweile von den Verpackungen und Web-Auftritten der Firma verschwunden. Denn 2022 zeigte Perfetti Van Melle, ein niederländisch-italienischer Süßwarenkonzern, Glee Gum bei BBB National Programs an, einer angesehenen US-amerikanischen NGO, die die Selbstregulierung der Industrie beaufsichtigt. Bei der folgenden Überprüfung von Glee Gums Werbeversprechen wurde die Nachhaltigkeit seines Produkts angezweifelt. Außerdem legten mehrere unabhängige Chemiker:innen Gutachten vor, die den Chiclegehalt der Aboaf-Kaumasse anzweifelten. Mit von Aboaf /AB Natural Base bereitgestellten Firmengutachten konnte Glee Gum die unabhängigen Gutachten erfolgreich anfechten. Dennoch wurde Glee Gum davon abgeraten zu behaupten, es sei „umweltfreundlicher als andere Kaugummihersteller“.

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Glee Gum wollte sich auf Anfragen von Good Impact nicht zu dem Fall äußern, verzichtete jedoch seitdem laut dem online einsehbaren Protokoll des Verfahrens freiwillig auf jegliche Behauptungen zur Nachhaltigkeit seines Produktes. Tree Gum ließ laut eigener Aussage nach dem Prozess das Produkt von Aboaf in der Schweiz nachtesten – mit dem Ergebnis, dass das Produkt aus reinem Chicle besteht. Doch das Problem bleibt. Selbst wenn es sich beim Chicle von Aboaf / AB Natural Base um ein Naturprodukt handelt: Nachhaltig ist es deswegen noch lange nicht.

Warum also entschieden sich so viele Start-ups, die mit ihrem Produkt angeblich die Welt grüner, gesünder und besser machen wollen, für einen Anbieter ohne jede Transparenz, der eine kriminelle Geschichte hat und dessen Produktreinheit sogar infrage gestellt wurde? Glaubt man den Aussagen der Start-ups, so war vielen von ihnen die Zusammenarbeit mit Aboaf / AB Natural Base nicht geheuer. Sie hätten jedoch „nicht die Ressourcen gehabt“, um die Lieferkette selbstständig zu überprüfen, erklärt einer der Hersteller. Untere anderem Birkengold wollte zu Beginn daher lieber Chicle von Chicza kaufen, das mexikanische Unternehmen wollte seine Produktion jedoch zu diesem Zeitpunkt nicht für die Konkurrenz öffnen. Aber warum verzichtete man dann nicht auf die Herstellung eines eigenen Produktes oder suchte sich eine andere Kooperative dafür?

Laut mehreren Quellen ging es vermutlich auch ums Geld. „Aboaf verkauft seine Kaugummimasse zu einem billigen Preis, der die Kosten einer nachhaltigen Produktion völlig unterbietet“, sagt Andre Pascher, dessen Unternehmen Phyto Treasures Chiczas Kaugummis unter anderem in Deutschland vertreibt. „Grundsätzlich finde ich es toll, dass es Konkurrenzprodukte zu Chicza gibt. Je mehr Anbieter natürlichen Kaugummi verkaufen, desto mehr Menschen werden darüber aufgeklärt, dass der gängige Kaugummi aus Erdöl besteht. Schade ist nur, dass die Unternehmen dabei Chicle von einem Anbieter beziehen, der nachweislich mehrfach den Chicleros geschadet hat.“ Angestoßen durch die Recherchen von Good Impact hat das Consortio Chiclero von Chicza in Mexiko mittlerweile per genossenschaftlicher Abstimmung entschieden, den Verkauf ihrer Chicle-Kaugummimasse für andere Hersteller zu öffnen, um eine Alternative zu Aboaf / AB Natural Base zu bieten. So verliert Chicza vielleicht ein Alleinstellungsmerkmal. Aber der Regenwald und die Chiclero-Gemeinden haben eine nachhaltige Zukunft.

Kind neben Kaugummi-Masse, Foto: Chicza

Folgen dieser Recherche:

Nach der Konfrontation der Unternehmen True Gum, Tree Gum, Forest Gum, Birkengold und Glee Gum mit den Recherchen von Good Impact verkündete Tree Gum, zukünftig den Hersteller, also Aboaf / AB Natural Base, wechseln zu wollen. Birkengold gab an, seinen Lieferanten, also Aboaf/ AB Natural Base genau evaluieren zu wollen. Forest Gum gab an, die Lieferkette „umstellen“ zu wollen und eine Expertin angestellt zu haben, die neue Direkt-Kooperationen mit lokalen Kooperativen knüpfen soll. Das dänische Start-up True Gum äußerte keinerlei Absicht, die bisherige Zusammenarbeit zu hinterfragen und verweigerte die Auskunft zu konkreten Nachfragen nach der Lieferkette. Glee Gum und Aboaf / AB Natural Base nahmen auch nach mehrfachen Anfragen zu keinem der Vorwürfe Stellung. Es gibt in Europa und den USA insgesamt 39 Unternehmen, die Kaumasse von Aboaf / AB Natural Base kaufen. Eine vollständige Liste auf der Website ist mittlerweile verschwunden.

*Transparenzhinweis: Bis vor Kurzem wurde Kaugummi von Forest Gum bei unserer Schwesterfirma GoodBuy vertrieben. GoodBuy besitzt ausgewiesene Werbeplätze bei uns (z. B. im Newsletter). Dadurch wurde in der Vergangenheit bei „Good Impact“ für die Kaugummis von Forest Gum geworben. Nach Vorliegen der Rechercheergebnisse hat sich GoodBuy dafür entschieden, Forest Gum vorläufig aus dem eigenen Sortiment auszulisten und stattdessen den Kaugummi von Chicza ins Sortiment aufzunehmen.

Ein Chiclero, ein Chiclebauer des Consorcio Chiclero, erklimmt einen Breiapfelbaum, um das Harz zu ernten.

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