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Rotbraun und trocken liegt der Boden unter den Füßen von Mahaman Dan Jimma. Doch in weiten, regelmäßigen Abständen wachsen Gräser und Sorghumhirse, dazwischen junge Akazienbäume. Im westafrikanischen Sahelstaat Niger ist die Erde seit jeher sandig, aber es wird schlimmer, allzu oft versickert der wenige Regen. Damit ihr Boden das Wasser besser speichern kann, graben Jimma und mehr als 500 weitere Bewohner:innen sichelförmige Mulden, etwa zwanzig Zentimeter tief, vier Meter breit, mit einem kleinem Wall drumherum. Gut 13.000 solcher Halbmonde haben sie in den vergangenen drei Jahren geschaffen und so 42 Hektar ihres Weide- und Ackerlands wieder fruchtbar gemacht, erzählt Jimma. Tierdung und Kompost haben sie als Dünger in die Erde eingearbeitet, Bestandteil der sogenannten Zaï-Methode, die bereits seit Jahrzehnten im westlichen Afrika praktiziert wird.
Jimma ist Präsident eines Komitees von sieben Dörfern in der Region Maradi im südlichen Niger. An einem heißen Tag im November, Wochen nach der Regenzeit, steht er nahe dem Ort Oubandjada unweit des Halbmond-Feldes vor einem Heuunterstand. In der Brusttasche seines bodenlangen, beigen Gewandes, der sogenannten Riga, steckt ein Kugelschreiber, auf dem grauen Haar trägt er einen verzierten Hut, wie er typisch ist für das Volk der Hausa. „Wir waren überrascht, dass die Methode schon nach einem Jahr erste Erfolge zeigte, im zweiten konnten wir anfangen zu ernten.“ Er zeigt auf die prallen Heubündel, die sich hinter ihm in der Wellblechscheune stapeln. „Ich bin 64 Jahre alt. Alle unter 30 kannten diese Fläche bis vor drei Jahren nur kahl und ausgetrocknet.“ Ein Grund: „Früher dauerte die Regenzeit vier Monate, heute sind es nur noch zwei.“ Die Klimakrise spüren die Menschen hier besonders hart.
Für ihren Einsatz bekommen Jimma und seine Mitstreiter:innen Geld vom Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (WFP), das sich im Niger seit 2014 bemüht, unfruchtbare Acker- und Weideflächen wiederzubeleben, seit 2018 auch in Oubandjada. Food Assistance for Assets (FFA), also „Lebensmittel für den Aufbau von Vermögen“, nennt das WFP diesen Ansatz. Die Bezahlung soll für die lokale Bevölkerung ein Anreiz und immerhin eine Grundsicherung sein, hier, in einem der ärmsten Länder weltweit. Umgerechnet zwei Euro am Tag bekommen Jimma und die anderen für ihre Arbeit.
Entsprechend hat sein Komitee nicht nur die Flächen, sondern auch Teilnehmende ausgewählt. Jimma erklärt: „Hier wuchs nichts, daher haben wir dieses Areal vorgeschlagen und wir haben die bedürftigsten Menschen ausgewählt.“ Was mit den Ernten passiert, ist klar geregelt: „Einen Teil nutzen wir für unser Vieh vor der nächsten Regenzeit, wenn es sonst kaum etwas zu fressen findet.“ Auf einem weiteren Teil bauen sie Lebensmittel an. Überschüsse verkaufen sie auch außerhalb der Gemeinden weiter. Das Gras haben sie noch grün geerntet, so behält es mehr Nährstoffe. Einen Teil, mittlerweile ausgeblichen, lassen sie stehen, um den Boden zu bedecken und damit grasende Tiere die Saat weiterverteilen können.
Dass dies so reibungslos klappt, ist nicht selbstverständlich. Fruchtbares Land ist rar im Niger, die Sahara-Wüste bedeckt zwei Drittel der Fläche. Immer wieder kommt es zu Konflikten zwischen Viehzüchter:innen und Landwirt:innen. Acht von zehn Menschen leben von der Landwirtschaft. Zudem wächst die Bevölkerung von 26 Millionen Menschen rasant. Eine Frau bekommt im Schnitt 6,6 Kinder. Immer mehr Menschen bedeuten auch, dass immer mehr Bäume gefällt werden. Als Brennholz zum Kochen.
Natürliche und menschengemachte Krisen verschränken sich. Etwa 700.000 Geflüchtete leben im Niger, geflohen vor Konflikten aus dem benachbarten Mali und Nigeria, aber auch aus anderen Landesteilen. Bewaffnete Überfälle, wie von der islamistischen Terrormiliz Boko Haram, haben sie vertrieben. Nur begleitet von Militärkonvois dürfen ausländische Journalist:innen oder Mitarbeitende von internationalen Organisationen in unsichere Gebiete reisen.
Fruchtbares Ackerland wird auch deshalb immer knapper, weil oft Monokulturen angebaut werden, falsche Bewirtschaftung die Erde auslaugt. Die Klimakrise verschäft die Wüstenbildung, Niederschläge schwanken, Dürren nehmen zu, Regenzeiten verschieben sich, Überschwemmungen fluten das Land. So gehen jährlich etwa 100.000 Hektar landwirtschaftliche Fläche verloren. Die Regierung will bis 2029 gut drei Millionen Hektar Land wiederherstellen. Zum Vergleich: Im Jahr 2022 wurden durch die sogenannten Resilienz-Programme des WFP 46.000 Hektar Land wiederhergestellt, 16 Prozent des jährlichen Regierungsziels.
„Für ihre Vorhaben ist die Regierung auf alle Partner angewiesen“, sagt Abdourhimou Amadou Issoufou von der Universität Diffa im Südosten des Landes. Er weiß, wie wichtig die Halbmond-Zaï-Methode für die nigrischen Böden ist. 2020 hat er eine Studie mitveröffentlicht zu etablierten Bodensanierungspraktiken, darunter Zaï und Mulch, wie sie auch in Oubandjada zusammen mit Halbmonden angewendet werden. Das Ergebnis: Mehr Nährstoffe und Bodenlebewesen wie Termiten, kühlere und aufgelockerte Erde, die mehr Wasser speichern konnte und mitunter doppelt so hohe Ernten abwarf.
Nahe der Hauptstadt Niamey im Westen sammelte Issoufou eigene Proben. Die Böden seien vergleichbar mit denen von Oubandjada: sandig, trocken, wenig fruchtbar. Doch so bewährt die Methode ist, so hart sei sie flächendeckend umzusetzen, auch weil es viel Kraft koste, die Halbmonde zu graben. Alle paar Jahre müssen sie zudem aufgefrischt werden. Dass Organisationen wie das WFP für die Arbeit bezahlen, sieht Issoufou zwiespältig: „Ich weiß, es motiviert Leute stark. Allerdings müssen sie langfristig verstehen, wofür sie das machen.“ Nämlich auch für den Klimaschutz: Gesunde Böden und die darauf wachsenden Bäume können mehr Kohlenstoff speichern, auch das zeigte seine Studie.
Das bestätigt das WFP. Von 48 Standorten ließ es das Potenzial bewerten und stellte fest: Sechs Tonnen Kohlenstoff pro Hektar könnten jährlich durch eine Kombination aus Boden- und Wasserschutztechniken, Aufforstung und Wiederaufforstung sowie nachhaltige Bewirtschaftung gebunden werden. Für den Zeitraum 2014 bis 2030 wären das 20 Millionen Tonnen und damit fast 60 Prozent der Treibhausgase, die Niger bis dahin einsparen möchte. Etwas optimistischer als Issoufou zeigen die WFP-Daten zudem: Die Halbmond-Zaï-Methode kann Erträge von Nutzpflanzen wie Hirse sogar um das Zwei- bis Dreifache steigern.
Auch das ein wichtiges Argument und immerhin ein Hoffnungsschimmer, denn die Lage ist laut Welthunger-Index ernst. Im Jahr 2022 lag das Land auf Platz 115 von 121. Die Ernährung von gut vier Millionen der 26 Millionen Menschen ist nicht sicher. Mehr als 12 Prozent der Kinder unter fünf Jahren sind akut mangelernährt, ihr Körpergewicht liegt 80 Prozent unter dem für ihr Alter angemessenen.
Jean-Noël Gentile leitet das WFP im Niger. Er lädt in sein Büro in Niamey mit dunklen Holzmöbeln. „2022 gab es eine Ernährungskrise hier im Niger, die so groß war wie seit 20 Jahren nicht mehr. Das Land hatte im Vorjahr nur 80 Prozent seines Bedarfs selbst produziert, wohingegen wir 2020 noch einen Überschuss sahen.“ Doch den Ärmsten fehlt das Geld für ihr Essen. „Die Preise gehen seit 2020 durch die Decke. Der Ukrainekrieg hat das noch verschärft, auch wegen gestiegener Transportkosten.“
In Ernährungskursen des WFP sollen Eltern von Kindern zwischen sechs Monaten und sechs Jahren lernen, wie sie diese am besten ernähren. Und das auch mit nahrhaften Produkten vom eigenen Feld oder lokalen Märkten, etwa Getreide wie Sorghumhirse oder Blättern der Moringa-Bäume. Hygiene und der Einsatz von Moskitonetzen sollen ebenfalls vermittelt werden.
Im südnigrischen Dorf Rafa zeigten die Kurse bereits nach einem Jahr Erfolge: Keines der Kinder war mehr mangelernährt. Dicht stehen knallig grüne, orange und blaue Plastikeimer um zwei große Töpfe. Außen tiefschwarz vom Ruß des Feuers, innen silbrig-hell, dampft darin ein Bohneneintopf. Es ist Mittagszeit in Rafa. Routiniert schöpfen ein Mann und eine Frau den Eintopf mit einer großen Kelle in die Eimer. Im Schatten eines Strohdachs sitzen etwa 30 Frauen im Schneidersitz, viele mit kleinen Kindern. Bevor sie essen, erzählt der Mann, was es mit dieser Versammlung auf sich hat und warum er, Maman Amadou, sich als einziger Mann unter all die Frauen mischt: Er ist Landwirt, 42 Jahre alt und hat neun Kinder mit seinen zwei Frauen. Lange hielt er sich bei Aufgaben im Haushalt oder bei der Kindererziehung zurück. „Ich habe Anweisungen erteilt“, sagt er. Eine Idee, was genau dann zu tun war, hatte er nicht. „Eines Tages war ich allein mit den Kindern zu Hause, als eines zu weinen begann“, erinnert er sich. „Ich wusste nicht, was ich machen sollte, daher habe ich eine Frau, die an den Ernährungskuren teilnahm, um Rat gefragt. Sie erklärte mir, was ich ihm genau geben und wie ich es beruhigen könnte.“ Als er merkte: „Ich kann das auch“, bat er, teilnehmen zu dürfen. „Durch die Workshops habe ich gelernt, wie wichtig es ist, als Vater mehr mitzuhelfen und wie das geht. Jetzt übernehme auch ich Verantwortung für meine Kinder.“ Er genießt die Begeisterung der Mütter, die immer wieder applaudieren, während er erzählt.
„Leuchtturm-Vater“ wird er nun offiziell im Programm-Jargon des WFP genannt. Wenn er abends mit anderen Männern Tee trinkt, erzählt er hin und wieder davon. „Mittlerweile haben fünf andere Interesse angemeldet, zwei sind jetzt auch Leuchtturm-Väter.“ Seine Frauen seien jedenfalls sehr zufrieden mit ihm. Auf dem Feld arbeite er weiterhin. „Ich plane meine Tage viel besser, damit ich Zeit für die Kinder habe.“ Tatsächlich empfiehlt auch eine qualitative Studie für das UN-Kinderhilfswerk Unicef 2021, Väter stärker einzubeziehen, „da sie eine wichtige Rolle bei der Planung und Verwaltung der Ressourcen für die Ernährung spielen“. Doch noch sind es vor allem die Mütter, auf die es ankommt.
Unweit von Amadou sitzt Hinda Abdou, eine „Leuchtturm-Mutter“, denn keines der sechs Kinder der 40-Jährigen war mangelernährt. Sie soll in dem Programm nicht nur ihre Erfahrungen teilen und Tipps geben, sondern lernt auch selbst noch dazu. Sie trägt einen langen fliederfarbenen Hijab aus feinem Stoff. Auf dem Schoß sitzt eine ihrer Töchter, die sich gerade einen der Messbecher geschnappt hat, die in den Kursen eingesetzt werden. Laut donnert sie damit auf die gewebte Kunststoffmatte unter sich. Abdou sagt: „Am Anfang habe ich meine Kinder gestillt, aber ich wusste nicht, wie ich danach ihr Essen vielfältiger gestalte.“ Jetzt kennt sie neue Rezepte und weiß, wie viel ihre Kinder genau morgens, mittags und abends brauchen. Vor ihr auf dem Boden liegt ein Hefter, daneben ein Maßband in drei Farben: rot, gelb und grün. Um den Oberarm gelegt zeigt es an, ob das Kind gesund ernährt ist oder zu dünn – und notfalls medizinische Hilfe braucht.
Raffaella Policastro leitet die Resilienz-Programme des WFP im Niger. „Wir arbeiten hier schon lange zu Mangelernährung und haben früher vor allem Gesundheitszentren unterstützt.“ Doch die Lage verbesserte sich nicht genug. „Also haben wir uns gefragt: Brauchen wir etwas anderes?“ 2018 startete das WFP zusätzlich die Präventionskurse. „Wir identifizieren alle Frauen, die keine mangelernährten Kinder haben, und fragen sie: Was habt ihr anders gemacht?“ Ihre Erfahrungen, Rezepte und Hygienemaßnahmen sollten als Vorbild für andere dienen. Policastro: „In den Gegenden, die 2022 am stärksten von der Dürre betroffen waren, haben 840 Gemeinden an unserem Resilienzprogramm teilgenommen – 80 Prozent von ihnen kamen ohne zusätzliche Nahrungsmittel-Nothilfen aus.“
Dass der Ansatz sinnvoll ist, schätzt auch Frank Bliss. Der Professor für Entwicklungsethnologie an der Universität Hamburg arbeitet als freier Gutachter für internationale Organisationen und hat seit den 1980ern vor allem Westafrika im Blick. „Solche Kurse können nach ein paar Jahren zu einem Selbstläufer werden, wenn Eltern gelernt haben, was gesund ist für ihre Kinder und es noch dazu im eigenen Garten anbauen oder in der Natur sammeln und dann in den Speiseplan aufnehmen.“ Dennoch brauche es mehr, um langfristig Mangelernährung zu bekämpfen: „Ein starkes Gesundheitssystem etwa und entsprechende Infrastruktur, um Mütter gerade in den entscheidenden ersten tausend Tagen nach der Geburt zu unterstützen. Doch da sieht es im Niger schlecht aus.“ Zudem betont er: „Das WFP müsste noch viel stärker mit anderen Organisationen und dem nigrischen Staat zusammenarbeiten.“
Und: Nicht in allen Dörfern gibt es Leuchtturm-Väter wie Amadou, die sich einbringen. Die größte Last liegt meist auf den Schultern von Frauen, die weniger Mittel und Handlungsspielraum haben. Auch das WFP bilanziert: Von den 140.000 Menschen, die 2021 an den Kursen teilnahmen, waren nur 30 Prozent Männer. Immerhin: Es ist ein Anfang.
Die Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen finanzierte und organisierte diese Recherchereise zum Thema humanitäre Hilfe im Niger mit Fokus auf das Welternährungsprogramm (WFP).
Die Halbmonde sollen dem trockenen, sandigen Boden dabei helfen, mehr Wasser zu speichern. Damit Pflanzen gedeihen, wenn die Regenzeit kommt, wie hier auf diesem Foto aus Rafa.