Schwerpunkt: Ernährung

„Die Mehrwertsteuer auf Obst und Gemüse sollte abgeschafft werden“

In dem Appell #ErnährungswendeAnpacken fordern 22 Organisationen ein Umdenken in Deutschland und eine tatsächliche Ernährungswende. Mit dabei ist der WWF. Ein Gespräch mit Rolf Sommer, Leiter Landwirtschaft & Landnutzungswandel bei der Umweltschutzorganisation.

Mehr pflanzenbasierte Ernährung, weniger Lebensmittelverschwendung, ein höherer Anteil saisonal-regionaler, ökologischer und klimafreundlicher Lebensmittel in Kitas, Schulen und Kantinen – diese Ziele hat sich das Bundeslandwirtschaftsministerium bis 2023 gesteckt. Ihnen geht das nicht weit genug. Warum?

Rolf Sommer: Die Ziele sind gut. Um sie tatsächlich zu erreichen, brauchen wir allerdings eine Zukunftskommission Ernährung. Die muss sich zum einen mit einer nachhaltigen Ernährung innerhalb der planetaren Grenzen auseinandersetzen und darüber hinaus mit einer weiteren zentralen Frage: Wie kann sozial gerechte Ernährung in Deutschland aussehen?

Was genau meinen Sie damit?

Es geht um die Frage: Können sich ärmere Menschen auch hierzulande eine gesunde, nachhaltige Ernährung überhaupt leisten? Beim Hartz-IV-Satz sind nur etwa 156 Euro monatlich für Nahrungsmittel und Getränke vorgesehen. Sich davon gesund und nachhaltig zu ernähren, ist schwer. Das Kuriose ist ja: Billigfleisch kostet oft viel weniger als Brokkoli oder Salat …

… gerade jetzt mit Inflation und steigenden Preisen für Energie und Nahrungsmittel. Schon heute versorgen die Tafeln mehr als zwei Millionen armutsbetroffene Menschen – so viele wie nie zuvor.

Die Lage ist dramatisch. Deshalb fordern wir: Die Mehrwertsteuer auf Obst und Gemüse soll reduziert oder ganz abgeschafft werden, das kann gerade ärmere Haushalte entlasten. Aber auch der Einzelhandel ist in der Pflicht: Pflanzenbasierte Produkte sollen Priorität in der Vermarktung erhalten, Werbung für „Wurst für Kinder“ abgeschafft werden. Damit wird suggeriert, dass bestimmte Wurst- und Fleischwaren explizit auf die Bedürfnisse der Kleinsten zugeschnitten seien, auch wenn Salz-, Zucker- und Fettgehalt nicht gesundheitsfördernd sind. Auch Rabatte auf Fleisch- und Wurstwaren darf es nicht mehr geben, außer kurz vor Ablauf des Verbrauchsdatums. Das alles kann Konsument:innen in die richtige Richtung stupsen. Wenn allerdings ein ganzes Kilogramm Putenfleisch für 1,16 Euro verramscht wird, kann man nicht von Konsument:innen mit schmalem Geldbeutel verlangen, dass sie eine nach-haltigere, aber teurere Alternative kaufen.

Ein Dilemma, oder?

Wir dürfen Armut nicht gegen ökologische Wahrheit…

Foto: Sydney Rae / Unsplash

Verschiedene Organisationen fordern eine Ernährungswende – die auch ärmeren Haushalten in Deutschland eine gesunde und nachhaltige Ernährung ermöglichen soll.

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