Herr Professor Stolberg, das Wort Seuche hört man in der Diskussion um Corona fast nie. Was ist der Unterschied zwischen einer Seuche und einer Epidemie?
Der Begriff der „Seuche“ wird von Historikern noch häufig gebraucht. Er kommt von dem alten Wort siech, für krank. In der Umgangssprache ist das Wort „Seuche“ aber negativ konnotiert. „Epidemie“ klingt sauberer, unkörperlicher, unaufgeregter. „Seuche“ ist zudem der breitere Begriff. Epidemien kommen in Wellen, in Form von oft wiederkehrenden Seuchenausbrüchen. Eine Seuche kann dagegen die Bevölkerung auch dauerhaft befallen. Die Tuberkulose ist ein Beispiel.
Gab es in der Vergangenheit vergleichbare Pandemien in der Dimension von Corona?
Auf jeden Fall. Schon die Pest war ein internationales Phänomen. Schon im 14. Jahrhundert wütete sie in zahlreichen Ländern. Die Cholera, die im 19. Jahrhundert von Asien kommend in immer neuen Wellen durch Europa und den Rest der Welt zog, war dann erst recht eine Pandemie, mit hunderttausenden, ja, wahrscheinlich Millionen von Opfern. Das Gleiche gilt für die große weltweite Influenza-Epidemie von 1918/19. Das waren alles Pandemien, die sich innerhalb von Monaten über die ganze Welt ausbreiteten.
Viele Medienberichte, darunter Spiegel Online, titelten, dass Covid-19 der „Preis der modernen Globalisierung“ sei. Ist das historisch betrachtet also Unsinn?
Das kann man durchaus so sagen. Bei der Pest ist es kompliziert. Sie wird vor allem über Ratten und Flöhe verbreitet, nicht durch den unmittelbaren Kontakt mit Infizierten. Aber selbst hier war der Schiffsverkehr für die Ausbreitung zentral. Und für die Cholera lässt sich sehr klar zeigen, dass sich die Seuche aufgrund der bereits damals sehr intensiven internationalen Handelsbeziehungen und wegen des Reiseverkehrs so rasch und wirksam ausbreiten konnte, besonders mit Schiffen. Das hatte die Folge, dass Hafenstädte in Europa oft viel stärker betroffen waren als Orte im Binnenland. Auch dort griff die Seuche aber schließlich um sich, verschonte nur manche Städte und Regionen. In immer wiederkehrenden Wellen zog die Cholera so jeweils in kurzer Zeit durch ganz Europa. Bei der Influenza-Pandemie war dagegen zunächst nicht primär der Handelsverkehr verantwortlich. Nach aktuellem Stand der Forschung gab es die ersten Fälle in den USA. Es kam zu kleineren Seuchenausbrüchen im Militär und die Krankheit gelangte dann mit amerikanischen Truppentransporten nach Europa und breitete sich dort schließlich auch in der Zivilbevölkerung aus. Bei Corona haben wir, in Bezug auf die Globalisierung, zudem das Phänomen, dass die Pandemie und die Maßnahmen zu ihrer Bekämpfung wegen der nie dagewesenen globalen Vernetzung der Wirtschaft weltweit massive wirtschaftliche und soziale Folgen nach sich ziehen. Diese sind stärker, als wir das je in der Vergangenheit erlebt haben.
Gibt es auch Parallelen zu dem Verlauf historischer Seuchen wie Pest, Cholera und Influenza?
Zunächst einmal: Pest, Cholera und Influenza treten alle in Wellen auf. Die große Frage bei Corona ist nun bekanntlich, ob weitere und womöglich, wie bei der Influenza, noch schlimmere Wellen auf uns zukommen. Wie wir heute wissen, gibt es bei der Cholera zudem, wie bei Covid-19, eine große Anzahl von „gesunden Überträgern“, also von Menschen, die kaum Symptome aufweisen oder gar keine. Viele Menschen wussten damals also gar nicht, dass sie die Krankheit hatten. Sie konnten arbeiten und reisen und die Seuche konnte sich so umso leichter ausbreiten.
Welche Parallelen sehen wir zwischen dem historischen Umgang mit der Cholera und den Umgang heute mit Covid-19?
Auch Pest und Cholera gaben den Menschen Rätsel auf und es gab ganz unterschiedliche Vorstellungen über die Ursachen und die Ausbreitungswege. Schon im Fall der Pest war man sich jedoch bald weithin einig, dass sie ansteckend war. Viele der Schutzmaßnahmen, die wir heute …
Der Pestdoktor mit der Schnabelmaske ist ein Sinnbild für Seuchen.