Schwerpunkt: Medizin

So problematisch ist die Herstellung von Impfstoffen

Impfstoffe können Seuchen verhindern und Menschen vor Ansteckung mit tödlichen Krankheiten schützen. Geht Impfstoffentwicklung auch ohne Tierversuche? Wer sollte zuerst versorgt werden?

Dass der Menschheit eines Tages einmal eine global auftretende neue Seuche, eine Pandemie, drohen würde, hatten viele Expertinnen und Experten erwartet. Anfang dieses Jahres war es so weit: Von Wuhan in China verbreitete sich das neue Coronavirus SARS-CoV-2, das die Krankheit Covid-19 auslöst, rund um die Welt. Überall schlossen Regierungen Grenzen und Geschäfte und forderten die Bürger*innen auf, zu Hause zu bleiben, um die Ausbreitung des leicht übertragbaren Virus zu stoppen oder zu verlangsamen. Zu schnell würden sonst die Gesundheitssysteme überfordert. Schulen und Kindergärten laufen seither vielerorts maximal im Notbetrieb. Konzertbesuche und Clubnächte sind verboten, Fangesänge im Fußballstadion nicht mehr zu hören. Eventuell muss das alles so bleiben, bis Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler entweder ein Medikament oder einen Impfstoff gegen SARS-CoV-2 gefunden haben.

Zurück in die Vergangenheit

Impfstoffe zählen zu den wichtigsten Möglichkeiten der Medizin, den Ausbruch von Seuchen zu verhindern. Die Coronakrise führt uns deshalb in gewisser Weise zurück in die Vergangenheit. Die einzige Möglichkeit, Epidemien zu stoppen, lag jahrtausendelang darin, Übertragungsketten zu unterbrechen. Kranke wurden isoliert und Reisende, etwa im Hafen von Venedig, in Quarantäne gesteckt. Auch grundlegende Hygienemaßnahmen wie regelmäßiges Händewaschen konnten helfen, waren allerdings lange Zeit unbekannt. Kamen Gesunde dennoch mit einem Krankheitserreger in Kontakt, war es reines Glück, ob sie sich infizierten oder nicht. Zugleich waren, wie heute bei Covid- 19, wirksame Medikamente meist nicht vorhanden. Mit Seuchen wie den Pocken infizierte sich noch im Mitteleuropa des 18. Jahrhunderts nach Schätzungen des Mikrobiologen Reiner Thomssen etwa die Hälfte der Bevölkerung. Bei rund einem Drittel der Fälle führte die Krankheit zum Tod, bei vielen anderen blieben körperliche Behinderungen und Entstellungen zurück.

Erst vor diesem Hintergrund wird die Revolution deutlich, die die Entwicklung des ersten Pockenimpfstoffs bedeutete. Dem britischen Arzt Edward Jenner ist dies im Jahr 1796 gelungen. Aufbauend auf den Beobachtungen und Forschungen vieler vor ihm erkannte er, dass Bäuerinnen und Bauern, die sich beim Melken mit Kuhpocken infizierten, auch gegen die menschlichen Pocken immun waren. In einem Experiment infizierte Jenner Menschen daher absichtlich mit Kuhpocken. Waghalsig war das vor allem deshalb, weil zu Jenners Zeit weder Viren bekannt waren noch die Funktionsweise des menschlichen Immunsystems.

Dennoch war damit der Anfang gemacht, um die Pocken völlig auszurotten. Seit Ende der 1970er-Jahre hat sich nach intensiven weltweiten Impfkampagnen kein Mensch mehr mit den Pocken infiziert. Bei zwei weiteren Krankheiten, der Kinderlähmung und den Masern, ist ein ähnlicher Erfolg möglich.

Heute sind Experimente wie die Jenners in der Entwicklung neuer Impfstoffe undenkbar. Als vorbeugend verabreichte Medikamente unterscheiden sich Impfstoffe von Arzneimitteln, die zur Behandlung bereits Erkrankter eingesetzt werden. Getreu dem Anspruch ärztlicher Ethik, vor allem keinen Schaden zu verursachen („primum non nocere“), werden sie ausgiebig auf mögliche Nebenwirkungen getestet. Oft erstreckt sich dieser Prozess über mehr als zehn Jahre, manchmal über dreißig.

An seinem Beginn stehen Forschungen zur Immunreaktion des Körpers auf bestimmte Krankheitserreger. Diese verfügen auf ihrer Oberfläche über kleine Strukturen, sogenannte Antigene, auf die das menschliche Immunsystem reagiert. Kennt es diese Strukturen bereits, kann es ihnen oft schneller und effizienter begegnen. Die Impfung soll das Immunsystem also gewissermaßen mit diesen Antigenen bekannt machen. Allerdings finden sich auf den Oberflächen der Erreger teils mehrere Tausend Antigene. Die Auswahl weniger relevanter Antigene ist wichtig, weil neue Impfstoffe dadurch meist verträglicher werden.

Impfstoffentwicklung: Lange Zulassungsprozesse

Sobald die Studien mithilfe von Zellkulturen und Computermodellen abgeschlossen sind, folgen Tests an Tieren und dann, in drei Phasen, an immer größeren Gruppen von Freiwilligen. Mit diesen Tests wollen Forscher*innen die Wirksamkeit des Impfstoffs nachweisen, die optimale Dosierung festlegen und Nebenwirkungen ausschließen. Erfüllt der Impfstoff die Erwartungen, genehmigen ihn die Behörden und das Pharmaunternehmen bringt ihn auf den Markt. Im Gegensatz zu Arzneimitteln wie Kopfschmerztabletten gibt es bei Impfstoffen keine Generika, also Nachahmerpräparate. Jeder Hersteller muss den kompletten Zulassungsprozess neu durchlaufen. Weil Impfstoffe durch biologische Prozesse hergestellt werden, sind die Zulassungen an die jeweiligen Produktionsanlagen gekoppelt. All das macht die Produktion von Impfstoffen teuer. Deshalb sind nur wenige große Pharmafirmen in diesem Markt aktiv. Es stellen sich auch ethische Fragen: Wie gerecht und nachhaltig sind derzeit Produktion und V…

Bild: imago images/photothek

Im Kampf gegen Viren gibt es meistens nur eine Lösung: Ein Impfstoff. Doch die Entwicklung ist aufwendig und die Mittel sind oft nicht weltweit verfügbar. Wie können wir in Zukunft besser impfen?

Tobias Sauer

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