Die Utopie

Schule ohne Hausaufgaben

Seit Jahrzehnten wird über den Umgang mit Hausaufgaben für Schüler:innen diskutiert. Mittlerweile experimentieren Schulen überall im Land mit verschiedenen Modellen. Welche Chance bieten sie?

Das ist das Problem:

Ein anstrengender Schultag, danach eine lange Liste mit Hausaufgaben. Das ist nach wie vor Alltag für Schulkinder, fast alle Bundesländer schreiben Büffelzeiten daheim im Schulgesetz fest. Aber bringt das Schüler:innen wirklich weiter? Seit Jahrzehnten wird darüber kontrovers diskutiert. Schon 1964 war der Pädagoge Bernhard Wittmann dieser Frage in sechs Duisburger Volksschulklassen nachgegangen. Vier Monate lang mussten die Schüler:innen weder Mathe- noch Rechtschreibaufgaben zu Hause machen. Schlechter wurden sie dadurch nicht.

Studien aus jüngerer Zeit bestätigen zunehmend die Wirkungslosigkeit von Hausaufgaben, vor allem bei Grundschüler:innen und vor allem, wenn sie zu lang, zu komplex sind und ohne pädagogische Rücksprachemöglichkeit gestemmt werden müssen. Zudem, kritisiert Jutta Allmendinger, Leiterin des Berliner Wissenschaftszentrums, zementieren Hausaufgaben oft soziale Ungleichheit. Wer auf Geschwister aufpassen muss, keinen Rückzugsraum oder etwa aufgrund sprachlicher Barrieren kaum Unterstützung von Eltern hat, habe es schwerer. Schafft die Hausaufgaben ab, fordert Allmendinger daher.

Das ist der Impuls:

Jetzt kommt Bewegung in die Praxis. Überall experimentieren Schulen mit einem neuen Umgang mit Hausaufgaben. Ganz abgeschafft weden sie meist nicht, sondern durch Modelle ersetzt, wie Schüler:innen eigenständig Aufgaben bearbeiten können – aber zum Großteil eben nicht zu Hause. Oft gehen Ganztagsschulen den ersten Schritt: Selbstständige Lernzeiten werden in die Schule verlagert. Die Erich-Kästner-Grundschule im nordrhein-westfälischen Grevenbroich etwa hat im November 2022 eine „Büffelzeit“ eingeführt. Drei zusätzliche Stunden die Woche bearbeiten die Schüler:innen am Vormittag schriftliche, auf ihren individuellen Lernstand zugeschnittene Aufgaben im Klassenzimmer, den „Büffelplan“. Sie können dafür Tablets, Lernvideos und andere Hilfsmaterialien vor Ort nutzen. Jede Klasse wird unterstützt von drei Lehrkräften oder Erzieher:innen. Damit genug von ihnen dafür Zeit haben, wurde aus dem Stundenbudget im freiwilligen Nachmittagsangebot in den Vormittag umgeschichtet.

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Das ist die Lösung:

Solche Modelle können den Weg weisen, wenn Schulen voneinander abgucken. Auch Schulleiter René Sell von der Kästner-Grundschule wurde von einer Nachbarschule zur „Büffelzeit“ inspiriert. „Wir lernen alle voneinander und entwickeln die Konzepte systematisch weiter.“ Eine erste Elternumfrage im Dezember ergab: Achtzig Prozent von ihnen waren sehr zufrieden mit dem Modell, neunzig Prozent schätzten die Entlastung am Nachmittag, ein Teil wünscht sich allerdings mehr Informationen über das, was ihre Kinder in der Büffelzeit genau machen. Eine umfangreichere Evaluation hat die Volksschule in Kriens, Schweiz, gemacht. Sie ersetzt seit 2018 Hausaufgaben testweise durch ein freiwilliges System von Lernzeiten an der Schule. Ergebnis: Die Leistungen gingen nicht zurück, die Schüler:innen waren zufriedener, motivierter und eigenständiger als jene, die das Angebot nicht annahmen. Einige wünschten sich längere Lernzeiten, mehr Begleitung. Jetzt wird nachgelegt. In Grevenbroich, in Kriens, überall, wo Schulen neue Wege gehen. Damit eine Schulzeit ohne Hausaufgaben bald keine Utopie mehr ist.

Foto: Pexels / Katerina Holmes

Viele Schulen experimentieren mittlerweile mit neuen Ansätzen daran Hausaufgaben zu ersetzen.

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