Ortsbesuch

Auf Sansibar mit einer Schwammfarmerin

Steigende Meerestemperaturen machen den Algenanbau auf der Insel im Indischen Ozean immer schwieriger. Mithilfe der Organisation Marinecultures arbeiten Frauen nun als Schwammfarmerinnen auf Jambiani, Sansibar.

Bis zur Hüfte steht Nasir Hassan Haji im türkisblauen Meer. Sie trägt einen bunten Ganzkörper-Badeanzug, auf dem Kopf ein lila Tuch, über die Stirn hat sie eine Tauchmaske mit Schnorchel gezogen – Hajis Arbeitskleidung. Es ist kurz nach elf Uhr am Vormittag. Die Sonne scheint durch die Wolken und glitzert auf dem Wasser. Das Thermometer zeigt fast dreißig Grad. Hundert Meter entfernt schlendern europäische Tourist:innen in Bikini und Badehose über den weißen Sandstrand, Haji aber muss jetzt und hier arbeiten. Sie ist Schwammfarmerin.

Entlang der Küste reihen sich Hotels, Restaurants und Surfcamps aneinander. Der kleine Ort Jambiani liegt an der Ostküste von Sansibars Hauptinsel Ungunja und lebt wie die ganze Inselgruppe vor allem vom Tourismus. Wer in der Branche keine Arbeit findet, verdient sein Geld meist mit dem Meer, wie Haji. Während die Männer oft als Fischer arbeiten, hat die 48-Jährige wie viele andere Frauen jahrelang Algen angebaut, vor allem für die Lebensmittel- und Kosmetikindustrie. „Von dem Geld konnte ich das Essen und die Schulgebühren meiner Kinder zahlen“, sagt Haji.

Mit der Klimakrise aber stiegen die Wassertemperaturen auf Sansibar. Die Algen wachsen seitdem langsamer oder sterben, die Ernteerträge der Frauen gehen deutlich zurück. Viele haben den traditionellen Algenanbau bereits aufgegeben. Auch Nasir Hassan Haji. Dass sie nun als Schwammfarmerin arbeitet, verdankt sie Marinecultures. Die Schweizer Organisation sucht seit Jahren nach neuen nachhaltigen Einkommensmöglichkeiten im Meer vor Sansibar. Wenn Algen nicht mehr gehen, was dann? „Wir haben ursprünglich an Perlen gedacht“, sagt Christian Vaterlaus, Gründer von Marinecultures. Doch mit so einem hochwertigen Produkt auf dem Markt Fuß zu fassen, ist nicht leicht. „Dann haben wir Schwammfarming in Mikronesien entdeckt und wollten es hier einführen.“

Jambiani auf Sansibar – ein Tourismus-Paradies, Foto: Julian Hilgers

Schwämme sind Tiere. Sie leben normalerweise am Meeresgrund und können die steigenden Meerestemperaturen durch die Klimakrise deutlich besser verkraften. „Die Schwämme ziehen andere kleine Meerestiere an, die in ihrem Schutz brüten“, erklärt Ali Mahmudi. Er arbeitet als Projektmanager bei Marinecultures, besucht regelmäßig die Schwammfarmen und berät die Frauen bei Fragen. Der 28-Jährige trägt ein violettes Tanktop und eine schwarze Baseballcap. Mahmudi nimmt einen der gräulichen Schwämme in die Hand, der in etwa die Form und Größe einer Birne hat. Die erbsengroßen Poren fallen sofort auf. Ihre Nahrung filtern die Schwämme aus dem Wasser, erklärt Mahmudi. „Mit der Filterung säubern sie auch das Meer.“

Während die Algen unter der Klimakrise leiden, helfen die Schwämme dabei, sie zu bekämpfen. Denn ein Teil der Schwämme zerfällt nach dem Tod in kleine Siliziumteilchen. Diese kurbeln indirekt den Kohlenstoffkreislauf des Ozeans an und reduzieren so den Treibhauseffekt. Allerdings gedeiht nicht jeder Schwamm in jeder Umgebung. Wissenschaftler:innen haben weltweit bislang mehr als 15.000 Schwammarten entdeckt. „Es hat etwa zwei Jahre gedauert, bis wir die richtige Spezies gefunden haben, die hier wirklich wächst“, sagt Vaterlaus. Marinecultures siedelte den Spinosum-Schwamm an. Invasiv ist er nicht, er gedeiht nur in bewirtschafteten Arealen.

Schwimmtraining gehört zur Grundausbildung

Farmerinnen wie Haji züchten und verkaufen den Spinosum nun. Vor allem für Körperpflege, Kosmetik und in der Malerei ist er gefragt. 2011 bildete Marinecultures die erste Schwammfarmerin auf Sansibar aus: Nasir Hassan Haji. Inzwischen arbeiten elf weitere Frauen in dem Projekt. Sie alle besitzen ihre eigene Farm: ein Feld aus Schnüren, etwa zehn Meter breit und lang, an denen die Schwämme mit Fäden und Drähten befestigt sind. Etwa 1.500 Schwämme leben auf einer Farm, schätzt Ali Mahmudi. „Wir verwenden Bojen, damit die Schwämme im Wasser schweben und nicht vertrocknen. Und Anker, damit das Feld nicht davontreibt.“

Um die Farm zu kontrollieren, müssen die Frauen fast jeden Tag raus aufs Meer. Das geht nur bei Ebbe. Sonst könnte Haji ihre Farm nicht zu Fuß erreichen. Das Problem: Viele Frauen auf Sansibar können nicht schwimmen. Ein Schwimmkurs gehört deshalb zur Grundausbildung als Schwammfarmerin bei Marinecultures. Haji: „Ich wollte auch unbedingt lernen, gut zu schwimmen. Erst als ich das geschafft hatte, war ich bei dieser Arbeit entspannt.“

Mehrere Stunden am Tag verbringt Haji nun auf ihrer Farm. Sie watet durch das Wasser und kontrolliert jeden einzelnen Schwamm. In ihrer Hand hält sie ein Messer, mit dem sie die Schwämme sorgsam in Form schneidet. „Wenn sie rund sind, werden sie eher gekauft. Beschneidet man die Schwämme, werden sie außerdem größer und stärker. Wie bei einem Baum“, erklärt Ali Mahmudi. Sind die abgeschnittenen Stücke gesund und groß genug, können aus ihnen manchmal sogar wieder neue Schwämme heranwachsen.

Schwämme filtern mit ihren Poren Nahrung aus dem Wasser, Foto: Julian Hilgers

Geerntete Schwämme sammelt Haji in einer kleinen Tasche an ihrem Gürtel. Dort baumeln auch ein Stück Fischernetz und der Teil einer Fahrradkette – neben dem Messer die wichtigsten Werkzeuge für eine Schwammfarmerin. Mit der Fahrradkette reibt Haji über die Seile zwischen den Schwämmen u…

Fotos: Julian Hilgers

Arbeitsplatz Meer: Nasir Hassan Haji bei der Schwammpflege

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