Schwerpunkt: Zukunft Baby

Eier auf Eis – Was Social Freezing wirklich bedeutet

Jedes Jahr lassen Tausende in Deutschland ihre Eizellen einfrieren. Ich bin eine davon. Ein Erfahrungsbericht.

Ich verlasse die Apotheke mit Spritzen, die meine Eizellproduktion anregen und meinen Eisprung verzögern sollen. Ich hasse Spritzen. In diesem Moment wird mir bewusst: Es gibt kein Zurück mehr. Ich friere meine Eizellen ein. Social Freezing heißt das fachsprachlich. Betont werden dabei die sozialen und persönlichen Gründe, die Menschen dazu bewegen, ihre Eizellen schockzugefrieren. Leicht gefallen ist mir diese Entscheidung nicht. Schließlich mute ich meinem Körper eine Hormonbombe zu und das Ganze kostet 3.800 Euro. Und wofür?

Die meisten Menschen entscheiden sich für Social Freezing, weil ihnen der/die richtige Partner:in fehlt. Ich gehöre nicht dazu, habe seit fünf Jahren einen Partner. Ihn schreckt der Gedanke, zeitnah Kinder zu bekommen, nicht ab – obwohl er sechs Jahre jünger ist als ich. Mich schon. Denn: Ich bin beruflich da, wo ich seit Jahren hinwollte, und habe Pläne, die ich nicht aufschieben möchte. Ich genieße meine Freiheit und fühle mich wohl in meinem Körper. Durch ein Kind würde sich mein Leben verändern, und dafür bin ich (noch) nicht bereit. Gleichzeitig möchte ich den Moment nicht verpassen: Vielleicht kann ich einmal auf natürlichem Wege schwanger werden, aber was, wenn ich Jahre später ein zweites Kind möchte – und es nicht mehr funktioniert?

Und wer sagt mir, dass meine Beziehung so stabil bleibt, wie sie gerade ist? So viele Gedanken. Stress. Und genau den möchte ich vermeiden. Denn die Statistik sagt mir: In Deutschland ist fast jedes zehnte Paar zwischen 25 und 59 Jahren ungewollt kinderlos. Eins von sechs Paaren gilt als unfruchtbar. Stress ist dabei ein wichtiger Faktor. „Wir haben alle zu viel Stress. Gerade die Psyche, die letztendlich die Schaltzentrale für alle unsere körperlichen Prozesse ist, wird beim Thema Fruchtbarkeit komplett unterschätzt“, sagt Julia Neuen, Gründerin der Kinderwunsch-Plattform Storchgeflüster. Mich stresst die Vorstellung jetzt schon, in ein paar Jahren nach der Eieruhr Sex zu haben. Also: Eizellen auf Eis und wenn ich bereit für eine Schwangerschaft bin, entspannte Orgasmen haben.

Hormonbomben

Nach einem Beratungsgespräch in einer Kinderwunschklinik wird mir Blut abgenommen, um meinen AMH-Wert festzustellen. Anhand des Anti-Müller-Hormons kann abgeschätzt werden, wie viele befruchtungsfähige Eizellen in den Eierstöcken vorhanden sind. Gesunde Frauen im Alter von 18 bis 30 Jahren haben einen AMH-Wert zwischen 1 und 5 Nano- gramm pro Milliliter. Mein AMH-Wert liegt bei 3,62 ng/ml.

Der Test sagt nur etwas über die Quantität, nicht über die Qualität meiner Eizellen aus. Die Anzahl sinkt stetig seit der Geburt und die Qualität nimmt nach dem 26. Lebensjahr langsam ab. Wie das Altern aller Zellen im Körper, beschleunigt sich dieser Prozess ab dem 30. – und wiederum ab dem 35. Lebensjahr. Auch andere Faktoren beeinflussen die Fruchtbarkeit, etwa Lebensstil, Gewicht, Umweltfaktoren und Krankheiten wie Endometriose.

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Meine Hormontherapie startet an einem Donnerstagabend, einen Tag nach Beginn meiner Menstruation. Erst eine, später zwei Spritzen pro Tag müssen immer zur gleichen Uhrzeit injiziert werden. Es geht los mit dem Medikament Menogon HP. Dieses enthält Hormone, die die Follikel (Eibläschen) stimulieren und die Eierstöcke zur Produktion und Reifung von Eizellen anregen. Ich bin froh, dass mein Partner mir bei der ersten Injektion hilft.

In meinem Wohnzimmer breiten wir den Pen, in dem sich mehrere Dosen Menogon HP befinden, die Anwendungsbeschreibung und Desinfektionsmittel aus. Ich presse meinen unteren Bauch in ein Röllchen, damit nur Fett und kein Muskel getroffen wird, und desinfiziere meine Haut. Dann wird mir übel. Ich atme tief ein und aus. Wir einigen uns, dass ich lieber weggucke. Mein Partner dreht den Pen auf, um die Dosis einzustellen. Pieks, acht Sekunden halten und fertig. Wenige Sekunden später spüre ich, dass die Stelle um den Einstich warm wird, wie nach einer Impfung.

An diesem und den folgenden Abenden werde ich drei Stunden nach jeder Spritze müde und schlapp. Ansonsten fühle ich mich gut, arbeite wie gewohnt und treffe Freund:innen. Ab Tag 3 werde ich empfindsamer, wie vor der Periode. An Tag 5 kommt ein weiteres Hormon, Orgalutran, hinzu. Noch eine Spritze, und zwar gleichzeitig zum Pen, aber in die andere Bauchhälfte. Mit zwei Medikamenten, zwei Einstichstellen und einem angespannten Unterbauch komme ich mir vor wie ein Versuchskaninchen. Oder Brutkasten. Mir kullern Tränen über die Wangen. Ich fühle mich fragil und angreifbar.

Ab Tag 6 geht emotional gar nichts mehr. Ich bin traurig, schwer, wütend. Erkältet habe ich mich auch. Laut Kinderwunschklinik hat das nichts mit der Therapie zu tun. Ich glaube, mein Körper gibt mir die Erkältung, damit ich liegen bleibe und mich ausruhe. Also gucke ich die neue Staffel Sex Education, am Stück. Am Donnerstag fahre ich in die Klinik, damit die Ärztin prüfen kann, wie viele Follikel in meinen Eierstöcken herangewachsen sind. Anhand eines Ultraschalls zählt sie die Eibläschen: 16. „5 bis 20 Follikel sind üblich“, sagt sie. Kein Wunder, dass meine Eierstöcke sich dick anfühlen. Es wird ein letzter Bluttest gemacht und der OP-Termin für die Entnahme wird auf Montagmorgen, Tag 13, gelegt.

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Die folgenden drei Tage überstehe ich wieder dank Binge-Watching. Die Spritzen gebe ich mir mittlerweile selbst, ohne die Hilfe meines Partners. Würde ich nicht so neben mir stehen, wäre ich stolz auf mich. An einem dieser Abende macht mein Partner einen katastrophalen Fehler: Er ist nicht nett zu mir. Die Krise dauert 36 Stunden. In meinem Kopf packe ich Koffer, obwohl wir nicht einmal zusammenwohnen.

Tag 9: Ich spritze meine letzte Dosis Orgalutran. Tag 10: Letzte Dosis Menogon HP. Tag 11: Heute kommt eine Dosis Triptofem hinzu. Dieses Medikament soll den Eisprung auslösen – genau 36 Stunden später, wenn die OP stattfindet. Ich habe kleine blaue Flecken von den Nadelstichen. Mein unterer Bauch ist angeschwollen, hart und prall. Die Ärztin hat gesagt, ich soll in diesen Tagen nicht rennen oder springen. Das kommt für mich eh nicht infrage. Ich kann gerade mal – leicht breitbeinig – langsam gehen. Treppenstufen gehe ich einzeln hoch. Vor dieser Erfahrung habe ich meine Eierstöcke noch nie wirklich gefühlt. Jetzt habe ich das Gefühl, sie platzen.

An Tag 13 wird unter Vollnarkose eine feine Nadel durch meine Vaginalwand in die Eierstöcke eingeführt. So wird die Flüssigkeit in den 19 Follikeln, inklusive Eizellen, abgesaugt. Im Aufwachraum brabbel ich noch etwas high vor mich hin und bin dankbar, dass mein Partner da ist. Gerade als ich wieder zu mir komme, kommt die Ärztin zu uns: „Die Biolog:innen rufen Sie nachher an, um Ihnen die Anzahl der reifen Eizellen mitzuteilen. Je nachdem, wie Ihre Familienplanung aussieht, könnte ein zweite Stimulation sinnvoll sein.“ Wie bitte, eine zweite? Überforderung. Einige Stunden später erfahre ich, dass elf Eizellen gewonnen und mit flüssigem Stickstoff schockgefroren wurden. Damit liege ich über dem Durchschnitt: Üblich sind sechs bis neun Eizellen pro Stimulation. Meine Chancen, damit später schwanger zu werden, liegen trotzdem „nur“ bei etwa 44 Prozent. Würde ich eine zweite Stimulation durchführen und so auf insgesamt zwanzig eingefrorene Eizellen kommen, könnte ich auf 80 Prozent klettern.

Teures Privileg

Eine Garantie für eine Schwangerschaft – geschweige denn für ein gesundes Kind – gibt Social Freezing also bei Weitem nicht. Trotz hoher Kosten. Rund 3.800 Euro habe ich für eine Runde Social Freezing (inklusive sechs Monate Lagerung) gezahlt. Nach den ersten sechs Monaten kommen jährlich 400 Euro für die Lagerung der Zellen hinzu. Das kann sich nicht jede:r leisten. Ich sehe diesen kapitalistischen Aspekt von Social Freezing – und die soziale Ungleichheit dahinter – kritisch. Eine weitere Frage, die ich mir stelle: Überplane ich? Vielleicht. Dann wäre Social Freezing eine Art Versicherung. Vor allem aber sehe ich es als technische Möglichkeit. Dass ich sie nutzen kann, zeigt, wie privilegiert ich bin.

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Vor zehn Jahren haben in Deutschland etwa 1.000 Menschen pro Jahr ihre Eizellen einfrieren lassen. Der Reproduktionsmediziner Jörg Puchta schätzt, dass sich diese Zahl verzehnfacht hat. Belastbare Daten zu Social Freezing gibt es kaum. Fest steht aber: Mit dem Thema Kinderwunsch wird richtig Kohle gemacht. „Es werden viele Kinderwunschkliniken aus dem Boden gestampft und die machen nicht alle einen guten Job“, sagt Julia Neuen.

Aus diesem Grund hat sie eine Vergleichsplattform KiwuKlinik24 ins Leben gerufen, auf der Kinderwunschpraxen von Patient:innen bewertet werden. Auch Arbeitgeber:innen haben Social Freezing als Chance erkannt, um für Fachkräfte attraktiver zu werden. Unter dem Begriff Fertility Benefits bieten einige Unternehmen an, Fruchtbarkeitsuntersuchungen und -behandlungen ganz oder teilweise zu zahlen. „Aus einer sozialwissenschaftlichen Perspektive sehe ich das kritisch“, sagt die Sozialforscherin Julia Feiler von der Technischen Universität München. „Wenn jemand die Karriere durch Social Freezing absichern möchte, ist das zu kurz gedacht. Die Probleme sind strukturell bedingt und werden spürbar, nachdem ein Kind geboren wurde.“ Laut Gender-Care-Gap verbringen Frauen pro Tag immer noch 43,8 Prozent mehr Zeit mit Care-Arbeit als Männer. Unternehmen können effektiver am Wandel mitwirken, indem sie etwa Teilzeitmodelle für Mütter und Väter fördern.

Ich habe überlegt und abgewogen, diskutiert und kritisiert. Und am Ende für mich die richtige Entscheidung getroffen. Mein Fazit: Social Freezing war für mich anstrengend, selbstbestimmt und empowernd. Ob ich eine zweite Stimulation machen werde? Eher nicht. Wichtiger finde ich gerade, mit meinem Partner intensiver über das Thema Verantwortung zu sprechen: von der Schwangerschaft bis zur späteren Kinderbetreuung. Ich sehe sie gleichermaßen bei uns beiden. Übrigens: Wenn ein Paar nicht schwanger werden kann, liegt es in 40 Prozent der Fälle am Mann. Per Spermiogramm kann (und wird) auch mein Freund seine Fruchtbarkeit testen – und bei Bedarf seine Spermien einfrieren lassen.

Auszüge aus dem Social-Freezing-Videotagebuch der Autorin Vanessa Juercke.

Vanessa Juercke

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