Histourismus

Die Gorgone in New York City

Für manche ist Medusa ein feministisches Symbol, andere nutzen ihr Bildnis, um mächtige Frauen zu diffamieren. Ikonografie einer Missverstandenen.

Im Oktober vergangenen Jahres tauchte eine Statue vor dem New Yorker Criminal Court auf. Sie stellt die Gorgone Medusa dar, den Kopf des Perseus in der einen Hand, in der anderen das Schwert, mit dem sie ihn gerade enthauptet hat. Es ist eine exakte Umkehrung der berühmten Statue von Cellini, die Perseus getreu der griechischen Sage zeigt – dort ist Medusa bekanntlich diejenige, die ihren Kopf verliert.

Neues #MeToo-Symbol oder Personifikation des Bösen?

In den sozialen Medien zeigten sich insbesondere Frauen von der Statue als neuem #MeToo-Symbol begeistert. Nicht umsonst wurde sie vor dem Gerichtshof aufgestellt, an dem Harvey Weinstein wenige Monate zuvor für die mehrfache Vergewaltigung von Frauen verurteilt worden war. Einige Männer litten ob der erfahrenen Ungerechtigkeit jedoch sehr. Was könne denn Perseus dafür, dass er ein Monster erschlagen habe? Der römische Dichter Ovid überliefert uns in seinen Metamorphosen, dass Medusa
als junge Frau in Athenas Tempel von Poseidon vergewaltigt wurde. Statt den Meeresgott bestrafte Athena jedoch Medusa und verwandelte ihr Haar in Schlangen. In dieser Form wird sie schließlich von Perseus ermordet. Leider fühlten sich einige einflussreiche Intellektuelle dazu berufen, Ovids Wort „vitiare“, was entehren oder schänden bedeutet, mit „verführen“ zu übersetzen. Dante, Milton, Rubens und Caravaggio stellten die Gorgone in ihren Werken als Personifikation des Bösen dar. Uns wurde somit lange weisgemacht, dass die Gorgone eben verdient eliminiert gehöre, so ähnlich wie weibliche Schamhaare.

Wer den Vergleich lächerlich findet, der muss sich bei Sigmund Freud beschweren. Er interpretierte in seinem gleichnamigen Essay „das Medusenhaupt“ als Abbild der Geschlechtsteile der eigenen Mutter, das bei dem Mann zunächst Kastrationsängste und dann eine „Versteinerung“ – eine Erektion – auslöse. Die Schlangen seien hierbei die grässlichen Haare um den Schlund des weiblichen Geschlechts. Ach, Sigmund. Die französische Philosophin Hélène Cixous schrieb zu Beginn der 70er-Jahre zu Freuds Deutung: „Es reicht, Medusa ins Gesicht zu schauen, sie ist nicht tödlich. Sie ist schön und sie lacht. Männer werden ja nur vor Angst steif, vor Angst um sich selber! Das reicht mir jetzt mit dem Penisneid.“ Es war einer der ersten von vielen Texten, die Medusa fortan als Symbol weiblicher Potenz und männlicher Furcht (anstelle von männlicher Potenz und weiblicher Monstrosität) neu interpretierten.

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Bild: IMAGO / Pacific Press Agency

Der Künstler Luciano Garbati neben seiner Medusa-Statue in New York. Deren Deutung wird in den sozialen Netzwerken kontrovers diskutiert. Doch welche Mythologie steckt wirklich hinter der griechischen Gorgone?

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