Digitales Angebot Lou&You

Hier finden Betroffene von sexualisierter Gewalt schnell Hilfe

Jede dritte Frau in Deutschland erfährt in ihrem Leben mindestens einmal körperliche und oder sexualisierte Gewalt. Nur wenige finden Hilfe. Isabel Henschen möchte das mit ihrer Website Lou&You ändern.

Frau Henschen, warum gibt es Lou&You?

Ich habe bereits mehrere Fälle sexualisierter Gewalt in meinem Umfeld miterlebt. Es hat mich entsetzt, wie schwierig es ist, online schnell passende Informationen zu finden und sich einen Überblick über die nächsten Schritte und Hilfsmöglichkeiten zu verschaffen. Das wollte ich mit Lou&You ändern und einen einfachen digitalen Zugang bieten. Das soll es auch erleichtern, sich zum Beispiel psychologische Beratung zu holen und gegebenenfalls Anzeige zu erstatten.

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Welche Hürden gab es denn bisher?

Betroffene sind mit vielen Fragen konfrontiert: Wo finde ich medizinischen Rat, wo emotionale Unterstützung? Welche Rechte habe ich überhaupt, und sollte ich zur Polizei gehen? Die Informationen auf anderen Portalen sind oft zu spezifisch, über viele verschiedene Seiten verstreut oder sehr kompliziert ausgedrückt. Das ist zeitlich, emotional und kognitiv überfordernd. Wer sexualisierte Gewalt erlebt hat, ist in einer psychisch ohnehin schon total schwierigen Situation und hat oft nicht die Kraft, immer wieder nach Informationen und Hilfe zu suchen. Das führt dazu, dass viele das Erlebte am Ende mit sich selbst ausmachen müssen.

Es gibt ja bereits Angebote wie das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“, das auch per Chat oder Mail unterstützt.

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Das stimmt, aber die meisten haben zuerst das Bedürfnis, sich einen Überblick zu verschaffen, und googeln. Die Hürden dafür sind viel niedriger, als sich zu überwinden, einer Person zu beschreiben, was passiert ist oder gar persönlich zu einer Beratungsstelle zu gehen. Besonders bei einem Trauma bremsen solche Hürden aus. Aber natürlich empfehlen wir Betroffenen auch passende Beratungsstellen, die ihnen weitere Fragen beantworten können.

Wie erarbeiten Sie Ihre Inhalte?

Im Team haben wir eine Expertin zu sexualisierter und häuslicher Gewalt – also zum Beispiel Gewalt in Beziehungen –, die sich bei der Recherche der Informationen mit anderen Fachleuten austauscht, zum Beispiel mit Gynäkolog:innen, Ärzt:innen, Jurist:innen und Profis für IT-Security. Bei allen juristischen Fragen unterstützen uns zwei Kanzleien. Und beim Design und der Aufbereitung der Website ist eine traumasensible Gestaltung wichtig.

Traumasensible Gestaltung?

Unsere Seite berücksichtigt, wie Menschen, die ein Trauma erlebt haben, Inhalte wahrnehmen. Das bedeutet etwa, dass Texte inklusiv und ohne Gewaltbeschreibungen formuliert sind, die triggern könnten. Die Seite hat außerdem eine ruhige Farbgebung mit weichen Übergängen, auf der keine schnellen Bewegungen passieren. Insgesamt also eine kognitiv-beruhigende Gestaltung. Wichtig ist auch, dass man nicht von Infos erschlagen wird und alles auf einmal lesen muss. Man kann gezielt die für sich relevanten Teile ausklappen und anschauen, dadurch wird die Seite quasi auf meine jeweilige Situation und Bedürfnisse zugeschnitten.

Isabel Henschen

Die Kunsthistorikerin hat 2020 Lou&You gegründet, eine digitale Begleitung für Betroffene von sexualisierter Gewalt und Gewalt in Beziehungen. Die Seite ist seit August online. Bild: Thomas Henschen.

Wie können Betroffene sicher mit Lou&You in Kontakt treten? Wie gewährleisten Sie etwa Datenschutz und Anonymität?

Auf unserer Seite geben wir Tipps, wie man sich selbst noch besser schützen kann, etwa mit Anleitungen zum Löschen von Cookies oder Browserverläufen. Denn oft werden die Geräte von Täter:innen beobachtet, die beispielsweise E-Mails mit Beratungsstellen mitlesen. Gerade bei diesem sensiblen Thema müssen wir die Sicherheit der Betroffenen priorisieren und natürlich den Datenschutz. Wir erheben bisher keine personenbezogenen Daten und Cookies werden nur gespeichert, um die Nutzung an sich zu ermöglichen, damit alles so anonym bleibt wie möglich.

Aktuelle Statistiken zu sexualisierter Gewalt sind dünn. Könnte Lou&You nicht solche Zahlen erheben?

Tatsächlich ist die letzte umfassende Studie des Bundesfamilienministeriums zum Thema von 2004, mit nur 10.000 Befragten und außerdem nur Frauen, es fehlt also an aktuellen und diversen Daten. Das können wir in Zukunft ändern, weil man auch ohne personenbezogene Daten zum Beispiel Klickzahlen auswerten kann, um Statistiken veröffentlichen zu können. Das ist auch deshalb wichtig, damit Präventions- und Hilfsangebote in Zukunft endlich die Finanzierung erhalten, die gebraucht wird.

Welche weiteren Ziele gibt es für Lou&You?

Anfangs haben wir 80.000 Euro Spenden eingesammelt und damit einen gemeinnützigen Verein gegründet. Hinzu kam die Förderung vom Bundeswirtschaftsministerium. Zukünftig soll die Finanzierung über Sponsoring laufen – natürlich mit strengen Richtlinien für die Firmen, die im Gegenzug als Sponsoren genannt werden.

Wir planen eine Benutzeroberfläche, bei der man sich anmelden kann, um dort in einem Tagebuch zu dokumentieren, was passiert ist, und digital Beweise zu sichern, was bei der Polizei und vor Gericht wichtig sein kann. Zudem wollen wir den Content erweitern, etwa Hilfe für Betroffene mit Diskriminierungserfahrungen wie Rassismus liefern oder Infos, wie man am besten Spuren sichert und glaubwürdig dokumentiert. Ansonsten arbeiten wir daran, besser über Suchmaschinen gefunden zu werden, um mehr Menschen zu erreichen.

Weiterdenken

Traumaforschung
Bessel van der Kolk: Verkörperter Schrecken. Traumaspuren in Gehirn, Geist und Körper und wie man sie heilen kann, G.P. Probst Verlag 2021, 36 Euro.

Awareness App
Mit der App SaferSpaces kann man auf teilnehmenden Veranstaltungen sexualisierte Gewalt dem Awareness-Personal vor Ort melden.

Foto: Pexels / Rodnae Productions

Sich online oder telefonisch Hilfe zu suchen, verlangt Betroffenen von sexualisierter Gewalt aktuell zu viel ab, sagt Gründerin Isabel Henschen (Symbolbild).

Ella Knigge

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