Hitzestopp in Freetown

Die Klimakrise bedroht Sierra Leone. Wie Freetowns Bürgermeisterin die Hauptstadt zu einem Vorbild für urbanen Klimaschutz machen will

Hinter den riesigen Schüsseln mit verschiedenen Reissorten fällt Ya Alimamy Foday auf ihrem kleinen Holzhocker kaum auf. Die 60-Jährige ist die Vorsitzende der Marktfrauen auf dem Congo Market – einem bekannten Straßenmarkt in Sierra Leones Hauptstadt Freetown. Um Foday herum schieben sich die Menschen vorbei an den Ständen. Es riecht nach frischen Gewürzen und Fisch, der in Schalen vor den Ständen oft ungeschützt in der Sonne liegt.

Die Sonne ist der Grund für den Besuch bei Ya Alimamy Foday. Es ist früher Nachmittag, das Thermometer zeigt fast 30 Grad. Wie fast alle Leute hier verlässt Foday kaum den Schatten an ihrem Stand. „Wenn man den Rest seines Lebens unter der Sonne verbringt, schadet das der Gesundheit. Schutz vor dem Klimawandel, das wollen wir hier. Nicht nur als Geschäftsleute, sondern auch als Einwohner:innen.“

Ya Alimamy Foday, Marktvorsitzende (li.), Mangroven-Setzlinge (re.), Fotos: Felix Schlagwein, Julian Hilgers

Entlang des Congo Market und an zwei weiteren Märkten in Freetown hat die Stadtverwaltung deshalb insgesamt 700 kleine Dächer zum Sonnen- und Hitzeschutz installiert – inklusive Solarzellen für die Beleuchtung am Abend. Es ist ein Baustein des ersten Klima-Aktionsplans von Freetown, den die Stadt 2022 verabschiedet hat.

Schutz vor dem Klimawandel, das wollen wir hier. Als Geschäftsleute und als Einwohner:innen.
— Ya Alimamy Foday, Vorsitzende der Marktfrauen, Congo Market

Sierra Leone leidet wie viele afrikanische Länder besonders unter den Folgen der Klimakrise. Im Notre Dame Index der weltweit vulnerabelsten Staaten liegt das westafrikanische Land auf Platz 18. „Der Klimawandel fängt gerade erst an und wir sehen höhere Temperaturen und Hitzewellen. Das wird sich langfristig auf die Bevölkerung und die Industrie auswirken und zu wirtschaftlichen und sozialen Konflikten führen“, erklärt Anthony Toban Davies, Umweltexperte bei der Nachhaltigkeitsberatung Ecosys aus Freetown.

Hitzestau der Städte

Überhaupt ist Sierra Leone ein kleines Land mit großen Problemen. Von 1991 bis 2002 tobte ein blutiger Bürgerkrieg im Land, 2014 kämpfte es mit der Ebola-Epidemie. Von den knapp 9 Millionen Einwohner:innen leben mehr als die Hälfte unterhalb der Armutsgrenze. Ihnen fehlen die finanziellen Mittel, um sich gegen die Folgen der Klimakrise zu schützen. 

Besonders Menschen in Städten sind gefährdet. Sierra Leones Hauptstadt Freetown liegt eingekesselt auf einer Halbinsel zwischen dem Atlantik auf der einen und einem hügeligen grünen Nationalpark auf der anderen Seite. Vor allem im Zentrum staut sich die Hitze auf den Straßen. Alte Autos, Transporter und Motorräder ziehen immer wieder dunkle Abgaswolken hinter sich her. Überall entlang der Flüsse und Wege liegt Müll. Und Extremwetterereignisse häufen sich. Im August 2017 starben bei einem Erdrutsch nach drei Tagen Dauerregen mehr als tausend Menschen.

Für Yvonne Aki-Sawyerr war das der entscheidende Impuls, um 2018 als Bürgermeisterin zu kandidieren. Sie sitzt in ihrem Büro im 13. Stock im Rathaus von Freetown, dem wohl höchsten und modernsten Gebäude der Hauptstadt. „Im Mittelpunkt meiner Bemühungen stehen der Schutz der Zukunft meiner Stadt und Resilienz gegen die Folgen der Klimakrise“, sagt die 57-Jährige. Für diese Bemühungen wurde Aki-Sawyerr mehrfach ausgezeichnet, zuletzt mit dem Deutschen Afrika-Preis.

Yvonne Aki-Sawyerr, Bürgermeisterin von Freetown, Foto: Julian Hilgers

Eines ihrer Kernprojekte ist die Aufforstung. „Sie ist ein Mittel gegen Erdrutsche und Überflutungen. Aufforstung reduziert die Hitze, verbessert die Luftqualität. Bäume sind magisch“, sagt Aki-Sawyerr. Unter dem Motto „Freetown TheTreetown“ sollten in der Hauptstadt eine Million neue Bäume gepflanzt werden. Diese Marke wurde nach eigenen Angaben inzwischen übertroffen. Das neue Ziel: fünf Millionen Bäume bis 2030. 

Mangroven als Kohlenstoffbinder

Für die Umsetzung der Aufforstung ist vor allem Eugenia Kargbo verantwortlich. Bürgermeisterin Aki-Sawyerr hat sie zur ersten Hitzebeauftragten von Freetown ernannt. Die 37-Jährige steht perfekt geschminkt in Gummistiefeln bis zu den Knien im Schlamm, kann sich nur mithilfe ihrer Kolleg:innen bewegen. Hier in Ojuku, einem Vorort an der Küste von Freetown, begleitet sie die Aufforstung mit Mangroven. „Sie binden viermal mehr Kohlenstoff als andere tropische Wälder und sind Lebensraum für Millionen von Tierarten wie Krabben, die für den Lebensunterhalt der Menschen wichtig sind“, erklärt Kargbo. Die Mangroven dienen außerdem als Schutzwall gegen Erosion und Wind und reinigen das Wasser. 

Jeder der Bäume hat einen eigenen Code, das Wachstum wird mit dem Handy dokumentiert. Diese Arbeit übernehmen Menschen aus dem Stadtteil. Die Aufforstung schafft so Arbeitsplätze. „Ich verdiene drei Dollar am Tag. Die Mangroven sind für uns eine Chance“, sagt Janet Godwin Lahai, eine der Baumpflanzer:innen. Abseits der Küsten pflanzen die Menschen andere heimische, klimarobuste Baumarten, wie den Tamarindenbaum. Das Projekt scheint erfolgreich: Nach Angaben der Bürgermeisterin überleben bisher 82 Prozent der Bäume. Unabhängig überprüfen lässt sich das nicht. Und: Vergleichbare Aufforstungsprojekte in anderen Staaten zeigten, dass langfristig deutlich weniger Setzlinge standhalten, meist etwa 40 bis 60 Prozent.

Die Initiativen sind sehr gut, aber noch in der Anfangsphase. Wir müssen sehen, wie nachhaltig sie wirklich sind.
— Anthony Toban Davies, Umweltberater

Neben der Aufforstung setzt Yvonne Aki-Sawyerr auf Müll- und Abwasserentsorgung. Sie hat die erste Kläranlage in Freetown installiert. Aus dem Fäkalschlamm werden Briketts hergestellt – als nachhaltige Alternative zu der umwelt- und gesundheitsschädlichen Holzkohle. Schon bald soll jeder Haushalt zudem einen Mülleimer bekommen und verpflichtet werden, seinen Abfall dort zu sammeln. Ein Novum in Sierra Leone. 

„Die Initiativen sind sehr gut, aber was die Bürgermeisterin getan hat, ist noch in der Anfangsphase. Wir müssen sehen, wie nachhaltig das wirklich ist“, meint Umweltberater Anthony Toban Davies. Werden die Bäume wirklich groß genug, um CO2 zu binden? Werden die Mülleimer genutzt? Greifen die Einwohner:innen zu den Briketts aus dem Abwasserschlamm? 

Freetown, Sierra Leone, Foto: Julian Hilgers

Ein großes Thema bleibt der Verkehr. Überall durch Freetown fahren alte Verbrenner. „Derzeit ist es billiger, ein altes Auto zu importieren als ein neues“, so Aki-Sawyerr. „Die Regierung ändert das nicht.“ Überhaupt stoßen ihre Ideen als Bürgermeisterin immer wieder bei der nationalen Politik an Grenzen. Beispiel Stadtplanung: „Als Bürgermeisterin habe ich keine Kontrolle darüber, was, wie, wann und wo gebaut wird. Tatsächlich werde ich meist gar nicht informiert.“ Das Resultat seien zahlreiche informelle Siedlungen und eine Zerstörung der Natur. „Eine gute Stadtplanung würde die Stadt so weit wie möglich vor den Auswirkungen des Klimawandels schützen“, sagt auch Anthony Toban Davies.

Früher hat Aki-Sawyerr deshalb viel mit der Regierung gestritten, heute konzentriert sie sich lieber auf ihre Arbeit. 2023 wurde sie als Bürgermeisterin wiedergewählt. Mit ihrer Agenda für die zweite Amtszeit will sie bis 2028 durch Klimamaßnahmen 120.000 neue Jobs schaffen, besonders für Frauen und Jugendliche. Im Klimaschutz, aber auch im Tourismus und der Digitalwirtschaft. Ein sehr hohes Ziel. 

Denn in Freetown fehlt das Geld: „Wir haben nicht annähernd die Ressourcen, die wir brauchen, um alle Probleme anzugehen.“ So muss die Bürgermeisterin regelmäßig bei internationalen Geldgebern um Unterstützung bitten. Die Aufforstung in Ojuku beispielsweise wird von der Weltbank gefördert.

Auch für ein weiteres Großprojekt hat Aki-Sawyerr bereits die Finanzierung zusammen: Eine Seilbahn soll über 3,6 Kilometer die vernachlässigten Hangregionen im Osten der Stadt mit dem Zentrum verbinden. „So können wir viele Menschen transportieren und die Emissionen erheblich reduzieren“, sagt Aki-Sawyerr. Eine Machbarkeitsstudie wurde bereits erfolgreich durchgeführt, bis 2028 soll die Seilbahn fertig sein – wenn alles nach Plan läuft. 

Und das tut es in Sierra Leone bei Weitem nicht immer. Auf dem Congo Market wurden viele der Hitzeschutzdächer durch die Stürme in der Regenzeit wieder zerstört. Ya Alimamy Foday appelliert deshalb an die Bürgermeisterin: „Sie kann nicht alles auf einmal machen. Sie hat das Projekt hier begonnen. Jetzt soll sie daran denken, dieses Projekt auch zuerst fertigzustellen.“ Bürgermeisterin Aki-Sawyerr will sich nun um neue, bessere Dächer kümmern. Auch dafür braucht sie neue Unterstützung.  

Foto: Felix Schlagwein

Der Congo Market in Freetown, Sierra Leone – Schatten und Hitzeschutz sind hier überlebenswichtig.

Julian Hilgers
Felix Schlagwein

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