Politpop: Vereinigtes Königreich

House of Lords: Ein Kampf zwischen Tradition und Reformation

Nicht gewählt, adelig, alt. Das House of Lords gehört abgeschafft, sagen viele im Vereinigten Königreich. Aber die Kammer wird immer mehr zur Verteidigerin von Grundrechten. Wie lässt sich so eine Institution demokratischer machen? Ein Besuch.

Ein Einhorn und ein Löwe aus Holz wachen über die weinroten Ledersitze des House of Lords. Seine Mitglieder müssen draußen warten: Niemand darf den riesigen Saal im Palast von Westminster betreten, bevor der Sprecher des britischen Oberhauses nicht erschienen ist. Diener mit faustgroßen Silberbroschen auf der Brust weisen die paar Dutzend Männer und Frauen, die sich heute zur Sitzung eingefunden haben, an ihre Plätze, als eine feierliche Stimme durch die dreißig Meter hohen Räume hallt: „Ladies and gentlemen, the Lord Speaker!“ Herolde mit Zeptern und Degen betreten den Raum, dahinter Lord John McFall, weißes Haar, ein ernstes Gesicht, in eine schwarze Robe und ein Halstuch aus weißer Seide gekleidet. Während er vorbeirauscht, senken alle Anwesenden ihren Blick und deuten eine Verbeugung an. Erst dann dürfen sie das House of Lords betreten.

Kann eine Demokratie sich faszinierender, anachronistischer geben, als die britische konstitutionelle Monarchie, in der seit über 500 Jahren dieselben Bräuche praktiziert werden? In der es neben der gewählten Kammer, dem House of Commons, eine zweite gibt, deren Mitglieder von der Krone auf Lebenszeit ernannt werden? Das House of Lords ist dadurch mit fast 800 Mitgliedern größer als der Deutsche Bundestag. Nur der chinesische Volkskongress hat mehr Sitze.

Aber was genau macht dieses riesige Haus der Adeligen?

Am besten kann das sicherlich der Lord Speaker selbst beantworten. Er empfängt zu einer halbstündigen Audienz in seinem Büro mit Blick auf die Themse. Die Wände sind mit einer Tapete aus bronzefarbenem Brokat verkleidet, goldene Ornamente glitzern am pechschwarzen Kamin. McFall lässt sich in einem roten Sessel nieder. Obwohl er fast achtzig Jahre alt ist, leuchtet sein Gesicht voller Tatendrang, wenn er mit rollendem schottischen Akzent über sein Reich spricht.

Stars aus Adel, Sport und Wirtschaft

„Wir sind gewissermaßen die Großeltern des House of Commons. Wir bieten ihnen Rat und Lebenserfahrung. Aber wir zwingen sie zu nichts.“ Stolz zählt er auf, welche Stars unter den Lords zu finden sind: Mervyn King, der frühere Gouverneur der Bank of England. Baronin Brown of Cambridge, eine renommierte Ingenieurin und Expertin für Dekarbonisierungs-Technologie. Eine ehemalige Parathletin. Fachfrauen und -Männer für Biodiversität, Sport, Medizin. McFall: „Wir haben Experten aus allen Disziplinen. Wenn das House of Commons ein Gesetz vorbringt, sehen sie sich dieses Gesetz an, beraten darüber und machen gründlich recherchierte Vorschläge zur Verbesserung.“

Das House of Lords tagt im Westminsterpalast in London, Foto: CC BY-SA 4.0

Ein wichtiges Korrektiv

„Das House of Lords ist ein Revisionshaus“, sagt auch Jack Pannell, Politikwissenschaftler vom unabhängigen britischen Think Tank Institute for Government. „Es kann die Verabschiedung eines Gesetzes verschieben, Änderungen vorschlagen. Die Regierung ist verpflichtet, dem House of Lords Fragen zu ihren Entscheidungen zu beantworten. Die Lords stellen ein wichtiges Korrektiv dar. Die wenigsten Brit:innen wissen jedoch, was das Haus eigentlich macht.“

Es ist 14 Uhr in Westminster. Die Lords und Ladies – man nennt sie auch Peers – strömen auf ihre Sitze unter, über, neben den Statuen des Einhorns und des Löwen. Die Tagung der Kammer beginnt. Wer sprechen will, muss schnell sein: Bei jedem Punkt auf der Tagesordnung schnellen die Peers von ihren Sitzen hoch und brüllen: „My Lords! My Lords!“ Der Schnellste und Lauteste gewinnt. Abwechselnd befragen sie Vertreter:innen der Regierung. Wie will das Kabinett die Gefahren von Künstlicher Intelligenz präventiv bekämpfen? Warum wird Theaterunterricht von immer mehr Stundenplänen gestrichen, obwohl kulturelle Bildung so wichtig ist? Eine Baronin möchte wissen, warum in manchen Schulen nicht mehr von Mädchen, sondern von Menstruierenden gesprochen wird.

„Manchmal ringen wir nächtelang darum, ob wir ein Gesetz akzeptieren oder nicht“, sagt Lord Robert Winston, ein jüdischer, wortgewandter Mann, der aufgrund seiner Expertise als Arzt und Wissenschaftler zum Peer ernannt wurde. Meist äußert er sich im Haus zu Umweltschutz und Medizin, möchte aber seine Position auch nutzen, um für die Wahrung des Völkerrechts in Gaza einzutreten, sagt er. Lord Winston weiß, dass sich das Haus meist dem Willen der Commons beugen muss. Aber er ist auch stolz auf die Kämpfe, die das Oberhaus gewonnen hat. Zum Beispiel 2006 nach den islamistischen Terroranschlägen in London, als Tony Blair den Terrorism Act einführen wollte, der es unter anderem erlauben sollte, Terrorverdächtige ohne Anklage 90 Tage lang einsperren zu dürfen. Labour- und Tory-nahe Peers rebellierten gemeinsam gegen das Gesetz.  Im Januar 2024 werden die  Lords  gegen ein Gesetz zur Abschiebung von Flüchtlingen aus Großbritannien nach Ruanda rebellierien, dass Premierminister Sunak in den Commons durchgebracht hat,…

Foto: CC-BY-2.0.

Ein Blick in das Innenleben des House of Lords

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