Mein erstes Mal...

Rechte Parolen kontern

Rechte Parolen im Alltag so kontern, dass sie keine Normalität werden. Nur wie? Sophia Fehrenbach hat es geübt.

„Die nehmen uns doch alle die Arbeitsplätze weg.“ Geschockt schaue ich mein Gegenüber in der stickigen, vollen U-Bahn an. Das kann er doch unmöglich ernst meinen. Ich muss reagieren. Nur wie? Der Moment verfliegt. Nachher werden mir sicher wieder zehn Sätze einfallen, die ich hätte sagen können.

Es sind Situationen wie diese, die wir im Workshop „Stammtischkämpfer:innen gegen rechte und diskriminierende Parolen“ besprechen wollen. An einem Freitagabend fahre ich dafür mit dem Zug hinaus aus dem grauen Köln ins Grüne. Idyllisch, denke ich, bis immer mehr blaue AfD-Plakate mit Parolen wie „Unser Land zuerst” vor dem Fenster vorbeihuschen. Sie hängen so demonstrativ an der Zugstrecke, als würden sie mich noch einmal erinnern wollen, warum es so wichtig ist, gerade jetzt Stammtischkämpferin zu werden.

Ausstieg Hoffnungsthal. Ich muss schmunzeln: Hoffentlich ist der Name des Ortes Programm. Hier kommen wir zusammen, um zu lernen, die Schocksekunde nach diskriminierenden Aussagen zu überwinden – und diese zu konternkontern. Nur so werden sie nicht zur Normalität. Wir, das sind Interessierte und Engagierte aus Kleinstädten rund um Köln.

Die meisten kennen sich, sie sind nach den Correctiv-Recherchen im Januar zusammengerückt, um Mahnwachen zu organisieren. Schnell merke ich: Hier geht es um mehr als einen Crashkurs gegen Parolen.

Angekommen in einem hellen Seminarraum begrüßen uns zwei Teammitglieder von Aufstehen gegen Rassismus. Das Bündnis wurde 2016 gegründet und arbeitet bundesweit daran, eine breite gesellschaftliche Bewegung gegen die AfS aufzubauen. Seither wurden 1.600 spendenfinanzierte On- und Offline-Seminare veranstaltet und 22.500 Stammtischkämpfer:innen geschult.

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Zuallererst lernen wir: Der Stammtisch ist überall. Überall dort, wo rechte Parolen verbreitet werden, zum Beispiel an der Kühltheke im Supermarkt. So beginnt unsere erste Übung. Wir sollen uns vorstellen, dass wir beim Einkaufen jemanden sagen hören: „Es sind ja nur noch Ausländer hier.” Der Spruch hallt laut durch die Gänge, viele andere müssen ihn ebenfalls gehört haben. Was tun? Ein Workshopteilnehmer schlägt vor, hinzugehen und zu kontern, „Vielfalt ist eine Stärke”, jemand anders rät, draußen vor der Tür zu warten und mit der Person zu diskutieren. Ich denke mir: Hauptsache, wir sagen irgendetwas.

Auch wenn das die Meinung des Wortführers vermutlich nicht ändern wird, sollen Umstehende wissen: Das ist eine Mindermeinung, die hier nicht akzeptiert wird.

Im Theorieteil lernen wir die Situation erst einmal einzuschätzen: Wo bin ich, wie viele sind es? Wer ist mein Gegenüber, wen oder was möchte ich mit meiner Gegenwehr erreichen? Ich kann diskutieren, mich positionieren, die Situation verlassen oder Hilfe holen.

Es gibt also viele Handlungsmöglichkeiten. Das erleichtert mich. Außerdem lernen wir die Argumentationsstruktur hinter Parolen aufzudecken, etwa den sogenannten Flickenteppich: Inflation, Geflüchtete, Corona, Krieg in Europa. All diese Elemente werden zusammengewürfelt, rassistisch (um-)interpretiert und als rechte Parolen heuausposaunt. Aufgreifen und diskutieren sollte man am besten nur einen dieser Punkte.

Eine andere häufig genutzt Strategie: Das eine muslimische Mädchen, das am Schwimmunterricht nicht teilnehmen darf, wird zum Symbol einer Religion, die Frauen unterdrückt. In solchen Fällen kann man auf die Verallgemeinerung hinweisen und sie hinterfragen.

So weit, so gut, denke ich mir. Aber das eigentliche Problem ist ja, dass mir im kritischen Moment nichts einfällt. Das geht auch den anderen so. Deswegen gehen wir nach draußen und machen unter einem wolkenverhangenen Himmel die „Kugellagerübung”.

Wir sollen Widerworte in unseren Köpfen lagern, um sie bei Bedarf direkt rausschießen zu können. Doch das braucht Übung. Dafür stellen wir uns in zwei Reihen auf: Die eine haut Parolen raus, die andere reagiert. Auf Verherrlichungen des Nationalsozialismus antworte ich:„Stopp, das will ich nicht hören.” Im realen Leben wäre ich danach gegangen. Mit jedem Versuch spüre ich, wie das Überforderungsgefühl ein wenig abnimmt.

Meinen Mitstreiter:innen geht es ähnlich. Uns wird klar: Der heutige Abend ist nur ein Startschuss. Ab jetzt können wir das Kontern überall trainieren. Für den nächsten Tag plane ich deswegen bereits insgeheim, das Treffen mit meinen Freund:innen in einen Mini-Workshop zu verwandeln.

Auf dem Rückweg nach Köln nehme ich die AfD-Plakate schon ein wenig anders wahr, denn ich weiß, wir sind viele. Nicht nur beim Widerworte-Training, sondern beim Aufstehen für die Demokratie. Das macht Mut.

In unserer Ausgabe „Demokratie feiern“ vom Dezember 2023 hatten wir die Trainings bereits kurz thematisiert. Schon damals haben wir uns gesagt: Das probieren wir im Superwahljahr mal selbst aus.

 

Foto: Sophia Fehrenbach

Rechte Parolen werden normalisiert, wenn niemand darauf reagiert. In speziellen Workshops kann jede:r das Kontern trainieren.

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