Förderung von Sozialunternehmen in Europa

Das kann Deutschland von anderen Ländern lernen

Social-Impact-Anleihen oder ein Mikrokredit für arbeitslose Menschen, die gründen wollen: Deutschland kann viel von seinen europäischen Nachbarländern lernen, wenn es um die nationale Förderung von Sozialunternehmen geht.

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Lange galt in Europa das Vereinigte Königreich mit geschätzt 100.000 Social Enterprises als alleiniges Mekka für Social Entrepreneurship. 2016 noch stufte die Thomson Reuters Foundation in Zusammenarbeit mit der Deutschen Bank das Land als den drittbesten Ort der Welt ein, „um Social Entrepreneur zu sein“, den höchsten Rang, den ein europäisches Land erhielt. Bereits 2002 hat der Inselstaat als zweites europäisches Land nach Spanien eine offizielle Strategie für Sozialökonomie verabschiedet und 2010 die ersten Social Impact Bonds der Welt eingeführt.

Dann kam das Brexit-Referendum, und Großbritanniens Irrfahrt aus der Europäischen Union nahm ihren Lauf: 2019 fiel das UK im Reuters-Ranking auf Platz 13 zurück – stattdessen kletterte Frankreich auf den Bronzeplatz. Die ökonomische Unsicherheit seit dem Brexit hat das Land im Griff, nun kommt, wie überall, auch noch eine Pandemie dazu. Doch gerade angesichts dieser beiden Krisen lohnt sich ein genauer Blick auf die Insel.

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Förderung von Sozialunternehmen: „Schlafendes Geld“ nutzen

Als Reaktion auf die Coronakrise gründeten die beiden britischen Social-Investment-Firmen Big Society Capital und Social Investment Business den „Resilience and Recovery Loan Fund“, der Notfallkredite speziell an Sozialunternehmen und Wohlfahrtseinrichtungen vergibt. Big Society Capital wiederum finanziert sich zu einem großen Teil aus dem Reclaim Fund.

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Diese Initiative – von der Regierung autorisiert und reguliert – wird von einer Genossenschaft verwaltet. Die Idee ist simpel und genial: Statt sogenanntes „schlafendes Geld“ auf nicht mehr aktiven Konten (mindestens 15 Jahre unberührt) den Banken selbst zugutekommen zu lassen, wird es in England seit der Erlassung des Dormant Bank and Building Society Accounts Act von 2008 durch den Reclaim Fund für soziale Unterfangen eingesetzt. So standen im Mai 2020 auf einen Schlag 150 Millionen Pfund für die Unterstützung von Wohlfahrtsorganisationen und Sozialunternehmen in Coronazeiten zur Verfügung.

Eine weitere kreative Initiative sind die bereits genannten Social Impact Bonds. Über die Anleihen können sich sowohl Sozialunternehmen als auch Non-Profit-Initiativen mit Investor*innen zusammentun, die ein Projekt finanzieren und je nach Erfolg Rückzahlungen erhalten. Hierbei wird der Erfolg nicht finanziell, sondern primär über Social Outcome bemessen. Das Konzept ist so erfolgreich, dass es mittlerweile weltweit kopiert wurde. Innerhalb des Vereinigten Königreichs setzt sich auch besonders Schottland für seine sozialen Unternehmen ein: 2016 wurde eine Zehn-Jahres-Strategie von der schottischen Regierung gelauncht, die Sozialunternehmen finanziell fördern soll – und nach skandinavischem Vorbild Sozialökonomie auch auf die Lehrpläne der Schulen bringt.

Transformation im Blick

Im Nachbarland Frankreich erhält die Sozialökonomie allein dadurch einen hohen Stellenwert, dass das Umweltministerium „Ministère de la Transition écologique et solidaire“ heißt, zu deutsch: Ministerium für den ökologischen und solidarischen Übergang. Hier wird der ökologische Gedanke von vornherein mit dem sozialen Gedanken verknüpft und auch mit der wirtschaftlichen Transformation zusammengedacht. Das macht sich auch aktuell bemerkbar. So ist Frankreich „eines der wenigen Länder, das einen nationalen Wiederaufbau-Plan [für die Zeit nach Corona] präsentiert hat, der die Social Economy berücksichtigt“, so Veerle Klijn vom Netzwerk Euclid, das Sozialunternehmer*innen europaweit miteinander verbindet.

Bereits 2018 startete das Umweltministerium die Initiative #frenchimpact, um Sozialunternehmen mit mehreren 100 Millionen Euro staatlicher Gelder zu finanzieren. Innerhalb der Initiative werden vor allem auch regionale Projekte gefördert. In Frankreich gibt es den darauf spezialisierten Thinktank Lelabo, der Sozialunternehmen mit lokalen Behörden und der Zivilgesellschaft zusammenbringt, um so Arbeitsplätze in ländlichen Regionen zu schaffen. Ein weiteres interessantes Projekt ist das Unternehmen Adie, das Mikrokredite an Menschen ohne Arbeit oder mit bildungsfernem Hintergrund vergibt, die Unternehmen gründen wollen.

„Better Entrepreneurship Policy Tool“

Dass Regionen in Europa auch international miteinander arbeiten und voneinander lernen, sei ein entscheidender Faktor für den Erfolg von Sozialunternehmen, sagt Klijn. Regionen könnten wesentlich schneller handeln als nationale Akteur*innen und gezielt lokale Probleme lösen. Ein Beispiel sind in Spanien, Italien und Frankreich die traditionellen Kooperativen, ein Zusammenschluss von kleinen, lokalen Unternehmen, wie zum Beispiel Winzer*innengenossenschaften, die oftmals den Mitarbeiter*innen gehören und von diesen demokratisch verwaltet werden. Oder in Osteuropa Netzwerke wie das FabLab Network Slovenia, das lokalen Unternehmen digitale Tools und Fähigkeiten zur Verfügung stellt.

Die EU unterstützt daher in Zusammenarbeit mit der OECD insbesondere auch Programme, die soziales Unternehmer*innentum auf regionaler Ebene umsetzen. Beide Organisationen haben gemeinsam das „Better Entrepreneurship Policy Tool“ aufgebaut, eine Website, die Kommunen, Städten, Regionen und Ländern anhand von Best-Practice-Beispielen einen Leitfaden bieten soll, wie sie Social Entrepreneurship auf ihrer jeweiligen Ebene voranbringen können.

Veerle Klijn hebt auch das Erasmus-Programm speziell für Social Entrepreneurs hervor, das die Europäische Kommission unter anderem in Zusammenarbeit mit Euclid unterhält: Hier können Gründer*innen von Sozialunternehmen einen bezahlten Austausch bei etablierten Unternehmen in verschiedenen EU-Mitgliedsstaaten absolvieren, um von erfahrenen Kolleg*innen zu lernen. Das Programm verzeichnete laut Klijn seit einigen Monaten trotz Corona wieder einen großen Schub an Bewerbungen. Krisen seien seit jeher ein Katalysator für Sozialunternehmen, da sie dann am dringendsten gebraucht würden. Schon während der Weltfinanzkrise 2008, so Klijn, „sah man einen großen Anstieg von Gründungen, viele davon von Social Entrepreneurs. Auch die Coronakrise kann eine Gründungswelle in Europa ermöglichen.“

Dieser Text erschien in der neuen Ausgabe vom 02. November 2020. Der Artikel ist Teil des Schwerpunktes „Aufgeben gibt’s nicht: Die Pandemie bedroht die Existenz von Sozialunternehmer*innen. Was sich jetzt in Deutschland ändern muss.“

Illustration: imago images / ikon images

Lohnender Blick nach Frankreich: Dort erhält die Sozialökonomie allein dadurch einen hohen Stellenwert, dass das Umweltministerium „Ministère de la Transition écologique et solidaire“ heißt, zu deutsch: Ministerium für den ökologischen und solidarischen Übergang (Symbolbild).

Morgane Llanque

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