Schwerpunkt: Kreislaufwirtschaft

Das Müllschlucker Eiland

Die dänische Ostseeinsel Bornholm möchte bis 2032 abfallfrei werden und träumt von einer Kreislaufwirtschaft. Ihr Weg: einfach mal anfangen.

Der Traum vom Kreislauf steckt in einem kleinen, grauen Container. Darin drei Fässer: Essensreste, Abwasser von der Gemeinde, Abwasser von der Bierbrauerei um die Ecke. Dann begibt sich alles auf eine kleine Reise: Über lange, blaue Rohre wandern die Essensreste in einen Tank voller Bakterien, die den organischen Brei in zwei, drei Tagen in Biogas verwandeln. An der nächsten Station wird das Biogas zum Putztrupp: Es streicht an den feinen Filtern vorbei, die das Abwasser von Gemeinde und Brauerei reinigen und hält so die Poren der Filter offen. Das saubere Wasser könnte aufs Neue für Bierproduktion, Duschen und Spülwasser genutzt werden. Fertig ist der Kreislauf.

Theoretisch. Praktisch hakt es noch an allerlei technischen Details, an denen Wissenschaftler:innen im EU-Forschungsprojekt Abwasseraufbereitung in einem Wäldchen vor dem Küstenort Svaneke auf Bornholm tüfteln. „Wir suchen nach Lösungen für die Aufbereitung unterschiedlicher Sorten von Abwasser und arbeiten dafür mit Expert:innen in Griechenland, Spanien und Österreich zusammen, die ähnliche Projekte mit Kosmetikfirmen und Schlachtbetrieben etwa erproben“, sagt Paulo Silva vom kommunalen Abwasserversorgungsunternehmen BEOF. Vielleicht lässt sich das Abwasser mal so reinigen, dass Ackerflächen damit bewässert werden können. Vielleicht gelingt es in der Anlage sogar Erdgas und LPG herzustellen – Energie, die Brauerei und Betriebe der Region nutzen könnten. Noch ist es ein kleines Projekt, es könnte mal etwas Großes daraus werden, hoffen die Bornholmer:innen.

Es ist ein früher Dienstagmorgen im Spätsommer. Sonneninsel nennen die Menschen auf Bornholm ihr dänisches Eiland, ein seidig grüner Klecks Erde irgendwo im Blau der Ostsee zwischen Schweden und Rügen. Gleich hinter dem Wäldchen schlängeln sich Straßen durch Wiesen mit kleinen, bunten Häusern, auf den Feldern liegen Strohballen wie dahingekegelt, Kühe und Pferde zupfen schläfrig ihr Frühstück und wohin man auch schaut glitzert am Horizont die Sonne im Meer.

40.000 Menschen leben hier, knapp 700.000 Tourist:innen sind jedes Jahr zu Gast, die meisten landen per Schiff im Fährhafen der Hauptstadt Rønne auf der Westseite. Zwar gilt die Insel als Tourismushotspot, doch das bringt nur etwa zehn Prozent der Wirtschaftsleistung. Der Rest kommt von mittelständischen Unternehmen und Landwirtschaft. Alle miteinander produzieren jährlich 80.000 Tonnen Müll. Er wird, wie fast überall in Dänemark, verbrannt oder auf einer Deponie entsorgt.

Aber damit ist bald Schluss. Bornholm will die erste No-Waste-Insel Europas werden. Wie das?

Noch hängt über dem Gelände der Bornholmer Abfallbetriebe BOFA jener Geruch, den der Wegwerfbrei einer Wachstumsgesellschaft schnell in großem Stil produziert. In der Betonhalle neben dem 75 Meter hohen Schornstein gräbt sich ein stählerner Greifarm tief in den Müll, hebt ihn in den haushohen blauen Heizkessel. Bei durchschnittlich 1.050 Grad wird verbrannt, 51 Tonnen pro Tag. Die Hitze erwärmt Wasser für Heizungen, Bäder und Küchen der Bornholmer:innen. Allerdings werden beim Verbrennen CO2-Emissionen und Schadstoffe freigesetzt. 2032 hat die Anlage ihr Lebensende erreicht, sie müsste ersetzt werden. „Genau das machen wir nicht“, sagt BOFA-Chef Jens Hjul-Nielsen. „Wir schalten sie einfach ab.“

Felder, Himmel, Höfe, Weite (li.), Jens Hjul-Nielsen, Direktor der BOFA (re.), Foto: Anja Dilk

Hjul-Nielsen ist ein großer, kräftiger Mann mit festem Händedruck, schnellen Sätzen und einer fast kindlichen Lust an neuen Gedanken. Als er 2018 die Leitung der BOFA übernahm, hatte er es schon lange satt. Denn Bornholm ist ebenso arm wie schön. Die Krise des Fischfangs in den 1980ern führte zu wirtschaftlichem Niedergang, Arbeitslosigkeit, Abwanderung. Bis heute liegt das Einkommen der Insulaner:innen zwanzig Prozent unter dem dänischen Durchschnitt. Immer, wenn sie sich an die Zentrale in Kopenhagen wandten, hatten sie einen Strauß von Problemen im Gepäck: „Entschuldigung, wir haben Schwierigkeiten. Verzeihung, wir brauchen mehr Geld.“ Hjul-Nielsen sagte sich: „Wie wäre es, wenn wir von einer Probleminsel zu einer Lösungsinsel würden? Einem Vorbild, von dem ganz Dänemark lernen kann, vielleicht ganz Europa?“

Ein Wochenende lang hat sich Hjul-Nielsen mit einer Handvoll Kolleg:innen und Expert:innen in einem Kopenhagener Hotel eingesperrt und eine Strategie entwickelt. Kein technokratischer Firlefanz mit Recyclingquoten für Plastik, Biomüll oder Holz, keine Trennung von Haus- und Industriemüll, sondern ein für alle verständliches Ziel: bis 2032 alles recyclen oder wiederverwenden. Hat Kontakte zur Aalborg-Universität im Norden Dänemarks geknüpft: Beratet uns, wie können wir es schaffen? Hat die Politik auf Bornholm ins Boot geholt: Lasst uns das zusammen durchziehen.

No-Waste + klimaneutral = perfekter Mix

Denn passte sein Konzept nicht hervorragend zur neuen dänischen Gesetzgebung, die Verbrennungen ohnehin runterfahren will und erste Mülltrennung vorschreibt, um das nationale Emissionsziel von minus 50 Prozent bis 2050 zu erreichen? Fügte sich die Vision der müllfreien Insel nicht optimal in das Programm Bright Green Island, das Bornholm bereits 2008 beschlossen hat? Die Insel will klimaneutra…

Foto: Anja Dilk

Das dänische Eiland Bornholm liegt in der Ostsee zwischen Schweden und Rügen.

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