Herr Bresser, bald soll Lithium, das wir für Batteriefahrzeuge nutzen, umweltschonend in Deutschland gewonnen werden. Warum brauchen wir dennoch Alternativen für Lithium-Ionen-Batterien?
Dominic Bresser: Lithium lokal zu gewinnen ist eine Riesenchance, weil es Europa unabhängiger machen wird. Schätzungen zufolge schlummern im Oberrheingraben 15 Millionen Tonnen Lithium. 40.000 Tonnen sollen dort pro Jahr abgebaut werden. Doch schon 2028 benötigen wir weltweit vermutlich 1,6 Millionen Tonnen Lithium – allein für E-Autos. Wir brauchen Lithium aber noch für viele andere Anwendungen, etwa für mobile Endgeräte, in der Pharmazie und Keramikherstellung. Es sollte wirklich nur da eingesetzt werden, wo wir Batterien mit hohen Leistungs- und Energiedichten benötigen, wie in größeren Autos.
Dominic Bresser
ist Leiter der Forschungsgruppe Elektrochemische Energiespeichermaterialien am Helmholtz-Institut Ulm (HIU). Hier beschäftigt er sich unter anderem mit alternativen Stoffen für lithiumbasierte Batterien. Bressers Team verfolgt das Ziel, die Umweltverträglichkeit, Sicherheit, Ladezeit und Reichweite von E-Antrieben zu verbessern.Warum sind Natrium-Ionen-Batterien die aktuell vielversprechendste Alternative zu Lithium-Ionen-Batterien?
Der zentrale Vorteil von Natrium-Ionen-Batterien ist die große Verfügbarkeit des Rohstoffs Natrium. Durch die gerechte globale Verteilung würde es nicht zu Lieferabhängigkeiten kommen. Natrium gibt es überall, sei es an Land oder im Meerwasser. Die hier gemeinte Natriumverbindung – Natriumcarbonat, auch Soda genannt – ist ein Salz der Kohlensäure und übrigens nicht zu verwechseln mit Natriumchlorid, also Kochsalz, das aus getrocknetem Meerwasser gewonnen wird.
Ein zweiter Vorteil ist der geringe Preis von Natriumcarbonat. Aber auch alle anderen Rohstoffe in Natrium-Ionen- Batterien (Mangan, Aluminium, Hartkohlenstoffe, Eisen) sind weltweit verfügbar, günstig und vor allem ungiftig. Im Gegensatz zu den gängigen Bestandteilen von Lithium-Batterien: Kobalt, Kupfer, Nickel, Grafit. Letzteres ersetzen wir durch Hartkohlenstoffe, wodurch sich Natrium-Batterien sogar schneller laden lassen. Noch dazu sind sie sicherer und kälteresistenter als Lithium-Ionen-Technik.
Die Hartkohlenstoffe für die Batterien gewinnen Sie aus Biomüll.
Für unsere Forschungsarbeiten am HIU haben wir Apfelreste und Erdnussschalen verwendet, prinzipiell sind aber alle organischen Materialien nutzbar. Sie werden bei vergleichsweise geringen Temperaturen von etwa 1.000 Grad karbonisiert, das heißt Elemente wie Sauerstoff, Wasserstoff und Stickstoff werden entfernt, um Kohlenstoff zu gewinnen. Dagegen erfordert die Herstellung von Grafit, wie er stattdessen in Lithium-Ionen-Batterien steckt, Temperaturen über 2.000 Grad.
Welche Funktion hat Natrium in der Batterie?
Natrium funktioniert analog zu Lithium. Es ist zu Beginn eingebunden in das Aktivmaterial an der positiven Elektrode – eine Schichtstruktur, die neben Natrium beispielsweise aus Mangan und Eisen besteht. Während des Ladevorgangs wandert das Natrium aus dem Aktivmaterial an der positiven Elektrode zur negativen Elektrode, die Hartkohlenstoffe enthält, und lagert sich darin ein. Die Batteriezelle ist geladen, wenn sich all das Natrium dort eingenistet hat. Wird sie entladen, wandert das Natrium wieder zurück. Ein Vorgang, der ständig wiederholt werden kann. In Lithium-Zellen pendelt eben das Lithium.
Könnten wir die Batterieproduktion also morgen auf Natrium umstellen?
Hersteller von Lithium-Ionen-Batterien müssten ihre Anlagen im Prinzip nur reinigen, um damit Natrium- Ionen-Batterien produzieren zu können. Denn im Periodensystem der Elemente liegt Natrium direkt unter Lithium. Es ist chemisch ähnlich, nur ein bisschen größer und schwerer. Wir können viele Erkenntnisse aus der Lithium- auf die Natrium-Forschung übertragen.
Dadurch, dass das Element größer und schwerer ist, speichern Natrium-Ionen-Batterien jedoch weniger Energie pro Masseneinheit. Das heißt: E-Autos mit Natrium-Akkus haben eine geringere Reichweite. Wie gravierend ist der Unterschied?
Die ersten kommerziellen Natrium-Ionen-Batterien kommen auf eine Leistung von 160 Wattstunden pro Kilogramm (Wh/kg). Lithium-Ionen-Batterien rangieren zwischen 180 und 250 Wh/kg, abhängig von der Zellchemie. Die Lithium-Eisenphosphat-Batterien (umweltfreundlichere Version einer Lithium-Ionen-Batterie, da sie ohne die Rohstoffe Nickel und Kobalt auskommt, Anm. d. Red.), die Tesla jetzt in China verbaut, liegen bei 200 Wh/kg. Bei genau gleichen Parametern – gleiches Auto, gleiche Batteriegröße, gleicher Verbrauch – käme man mit der Lithium-Variante circa 20 Prozent weiter. Riesig ist der Unterschied nicht. Vor allem wenn man bedenkt, dass die ersten Lithium-Ionen-Batterien 1991 auf den Markt kamen – die ersten Natrium-Batterien erst vor Kurzem. Ich vermute, dass sich die Werte in fünf bis zehn Jahren weiter angeglichen haben werden. Bis dahin wird die Natrium-Variante wahrscheinlich eher in Zwei- und Dreirädern verbaut, etwa E-Bikes und Tuk Tuks, denn dabei geht es weniger um Reichweiten. In China werden aber auch schon erste Kleinwagen mit Natrium-Ionen-Batterien ausgestattet.
Wird es das Ökosystem Meer nicht aus dem Gleichgewicht bringen, sollten wir irgendwann riesige Mengen Natrium extrahieren?
Da Natrium nicht nur aus Meerwasser gewonnen werden kann, sondern auch als Feststoff in Minen, schätze ich das zunächst als unkritisch ein. Wenn man Natrium aus Meerwasser gewinnt, es also entsalzt, kann das sogar vorteilhaft sein: In Gewässern mit zu hoher Salzkonzentration, wie etwa im stark geschrumpften Aralsee in Zentralasien, kommt es andernfalls zum Artensterben.
Sie raten dazu, Natrium-Ionen-Batterien auch als stationäre Speicher von Wind- und Solarenergie einzusetzen. Warum?
Bei stationären Speichern kommt es nicht darauf an, ob die Batterie mehr wiegt oder klobiger ist. Sie muss langlebig, günstig und schnell aufladbar sein, um Schwankungen bei der Energiegewinnung ausgleichen zu können. Solche stationären Speicheranlagen fressen Tonnen an Ressourcen. Hier sollten wir auf einen reichlich verfügbaren Rohstoff wie Natrium zurückgreifen und uns Lithium für andere Anwendungen aufheben.
Sie sprechen außerdem von Salzwasserbatterien im Meer. Was meinen Sie damit?
Stellen wir uns große Container mit kräftigen Pumpvorrichtungen in der Nordsee vor, die Batteriezellen enthalten. In den Zellen muss kein Natrium verbaut sein, weil wir den Stoff direkt aus dem Meerwasser extrahieren können. Sie enthalten also nur das Aktivmaterial der negativen Elektrode, zum Beispiel Hartkohlenstoffe. Meerwasser wird hindurchgepumpt, so gelangt Natrium in die einzelnen Batteriezellen. Dann wandert der Stoff wie gehabt in das Aktivmaterial der negativen Elektrode. Solche Salzwasserbatterien könnten die Windenergie von Offshore-Anlagen speichern oder auch Schiffe antreiben. In Skandinavien gibt es bereits viele kurze Fährverbindungen, die Lithium-Ionen-Batterien nutzen. Diese könnten durch Salzwasserbatterien im Hafen wiederaufgeladen werden – oder den Lithium-Antrieb im Schiff ergänzen, um längere Strecken zu ermöglichen. In Zukunft könnte es also auch sinnvoll sein, Natrium- und Lithium-Technik zu kombinieren.
Dank Natrium-Ionen-Batterien könnten Elektroautos und -fahrräder nicht nur günstiger werden, sondern auch einen deutlich kleineren CO2-Fußabdruck bekommen. Der Standard ist bisher Lithium-Ionen-Technik.