Schwerpunkt: Ernährung

Wenn Mikroben Kühe ersetzen

Das Start-up Those Vegan Cowboys will aus einem Hektar Gras fünfmal mehr Milch gewinnen als eine Kuh – und veganen Käse herstellen. Die Methode nennt sich Präzisionsfermentation: Mikroorganismen produzieren Kuhmilchproteine. Wie das gehen soll? Ein Labor-Besuch in Belgien.

Die Silhouette eines Cowboys klebt am Eingang, daneben steht ein künstlicher Kaktus. Von der Decke des langen Flurs baumeln Wegweiser aus Holz. Nach rechts zur Ranch und Open Range, zum Cattle Drive und Drugstore. Im Cattle Drive riecht es muffig, hier futtert Margaret. Drumherum rattert, schleudert und brummt es wie in einem Heizungskeller. Margaret ist eine Kuh aus Stahl, ihr Lebensraum ein Labor an der E40, im Süden der belgischen Stadt Gent.

Neonröhrenlicht fällt von der Decke auf den grauen Fliesenboden im Flur. Kathleen Piens, eifrige Biochemikerin mit grauer Bobfrisur, angelt sich ihren weißen Stoffkittel von der Garderobe an der Wand, darauf ein Logo in verschnörkelter Wildwest-Typo. Für Besuchende gibt es einen Einmal-Kittel. Piens ist Leiterin der Abteilung „Downstream Processing“ beim Start-up Those Vegan Cowboys, heißt: die Chefin der Käseküche.

2020 haben Bio-Bauer Jaap Kortweg und Politiker Niko Koffeman das Unternehmen gegründet, um veganen Käse aus Milchproteinen herzustellen. Vegan deshalb, weil Gär-Tanks die Wiederkäuer ersetzen sollen. Präzisionsfermentation nennt sich das, der Mustertank heißt Margaret, angelehnt an die ehemalige britische Premierministerin Margaret Thatcher, Spitzname „Iron Lady“.

Käse hat größeren CO2-Fußabdruck als Schweinefleisch

Stahlkuh Margaret fasst 300 Liter. In dem Bioreaktor schwimmen genveränderte Mikroorganismen wie Hefen, die mit Zucker gefüttert Milchproteine produzieren. Pflegeleicht sind sie nicht: „Zu viel Stress, und die Hefen hören auf zu arbeiten oder gehen kaputt“, sagt Piens. Kontrolliert werden Geschwindigkeit der Futterzugabe, Temperatur des Wassermediums, pH-Wert und Sauerstoffgehalt mit allerlei Rohren, Uhren und Druckmessgeräten. Belohnt werden die Wissenschaftler:innen mit wertvollem Kasein, einer einzigartigen Proteingruppe, die nur in der Milch von Säugetieren vorkommt.

Kaseine können Kalzium binden, haben einen hohen Nährwert und sind die Basis für herzhaften Weich- und Hartkäse. Kuhmilch besteht neben Fett, Zucker und Vitaminen aus 90 Prozent Wasser und 3 Prozent Eiweiß – 80 Prozent davon Kaseine, der Rest sind Molkenproteine (Zutat von Eis und Frischkäse). Etwa 10 Liter Milch fließen in ein Kilogramm Hartkäse. Hinzu kommen 5.605 Liter Frischwasser und 88 Quadratmeter Landfläche, so eine 2018 im Fachblatt Science erschienene Studie von Joseph Poore und Thomas Nemecek. Damit ist der CO2-Fußabdruck von Käse größer als der von Schweine- oder Hühnerfleisch.

In Gent wachsen die Mikroorganismen in beheizten Bioreaktoren, benötigen also vor allem Energie, die künftig aus erneuerbaren Quellen kommen soll. „Verglichen mit der klassischen Milchwirtschaft, verbrauchen wir so fünfmal weniger Land, Wasser und CO2“, sagt Piens. Tierleid entsteht keines.…

Foto: Miriam Petzold

In einem belgischen Labor wird am Käse der Zukunft getüftelt:  Mikroorganismen produzieren Milchproteine in Fermentationstanks und verbrauchen dabei deutlich weniger Ressourcen als die Haltung von Kühen.

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