Knapp unter dem Polarkreis, auf der norwegischen Insel Lånan, leben Mensch und Tier in Symbiose. Umgeben von glatten Felsen, die aus dem Atlantik ragen wie Walbuckel, wartet Hildegunn Nordum im Mai auf die Rückkehr der Eiderenten. Die zahlreichen, selbst gezimmerten Bruthäuschen hat sie längst mit Seetang präpariert. An einigen hängen Namensschilder. Mette-Marit, Donald und Co brüten in aller Ruhe, weil Menschen ihre Fressfeinde verjagen.
Hildegunn Nordum ist eine von zehn saisonalen Inselbewohner:innen, die ihre Belohnung einsammeln, wenn die Nester der rund 600 Enten verlassen sind: kostbare Daunen, die sie säubern und zu Decken verarbeiten. Einnahmen und Handarbeit stehen nicht im Verhältnis, und doch lebt die Tradition der Ahn:innen. Warum? „Die Eiderenten sind ein Teil von uns und unserer Geschichte. Ohne die Arbeit hier würden Marder und Adler die Herrschaft übernehmen, das ist auf allen entvölkerten Inseln so. Die Eiderente würde verschwinden und damit auch die Daunentradition“, sagte Hildegunn Nordum Journalistinnen des Magazins Norr, die das Eiland besuchten.
Auf Inseln wie Lånan arbeiten Menschen seit Jahrhunderten statt gegen, mit der Natur und miteinander. „Insulaner verbindet ein gemeinsames Schicksal“, meint der Däne Jens Hjul-Nielsen. „Die Wetterbedingungen und Abgeschiedenheit betreffen uns alle. Egal wie reich oder arm, jung oder alt, gebildet oder ungebildet: Bei Sturm sitzt du auf der Insel fest.“ Auch, dass viele Beispiele für (beinahe) klimaneutrale Inseln aus Skandinavien kommen, sei kein Zufall. Lidö in Schweden, Åland bei Finnland sowie das dänische Bornholm, Samsø und Ærø sind dabei, emissionsfreie Gesellschaften zu werden, indem sie mehr erneuerbare Energie produzieren, als sie verbrauchen, und Speichermöglichkeiten testen. „Das nordische Gesellschaftsmodell macht es deutlich einfacher, Nachhaltigkeit zu fördern. Wir haben ein hohes Maß an Vertrauen und ein starkes Sozialwesen.“
Jens Hjul-Nielsen leitet seit fast neun Jahren Bofa, das Abfallmanagement der Insel Bornholm. Auf der Webseite seines Unternehmens tickt der Countdown bis auf die Sekunde. Bornholm will ab 2032 eine Kreislaufwirtschaft sein – dann schließt die Verbrennungsanlage der Insel für immer. „Begonnen haben wir damit, allen Mitarbeitenden zu garantieren: Du wirst 2032 einen Job haben. Nicht den gleichen, wir wissen auch jetzt noch nicht, wie er genau aussieht. Aber Aufgaben wandeln sich immer mit der Zeit, mit oder ohne Klimaschutz.“
Verabschiedet wurde der lokal initiierte Plan 2018. „Was, wenn wir zur Abwechslung zum Festland gingen und sagten, wir hätten die Lösungen statt der Probleme? Wir testen und ihr skaliert“, sagt Hjul-Nielsen. Testen – das geht auf einer Insel mit etwa 40.000 Einwohner:innen gut. Eine überschaubare, abgeschottete Gesellschaft mit industriellen und landwirtschaftlichen Betrieben und einem gewissen Maß an Urbanisierung: Krankenhaus, Schulen, Abfallanlagen.
Klimawende: Nachhaltigkeit als Jobmotor in Skandinavien
Der Grundstein für das Projekt „Bright Green Island“ wurde viel früher gelegt. In den Neunzigerjahren kollabierte die Fischwirtschaft der Inselgemeinschaft. Jobs fehlten, Menschen zogen weg. Die Community musste sich neu erfinden. So erging es auch Samsø – das wohl bekannteste Beispiel einer Insel, die die Energiewende bereits hinter sich hat. Die Samsinger:innen versorgen sich sowie Tausende Haushalte auf dem Festland seit 2007 autark mit grünem Strom, vor allem aus Windkraft. Keine große Leistung, möchte man meinen, wenn nur rund 4.000 Menschen den Wandel mittragen müssen.
Doch viele kleine Inseln, etwa das niederländische Texel, hadern mit der Wind-Wende. Auf Inseln mangelt es an Land. Die wenigen freien Flächen ziehen Tourist:innen an. „Samsø war unser leuchtendes Vorbild“, sagte Hennie Huisman-Peelen, Gemeinderätin von Texel, 2020 in einem Interview. Aber: „Die Landschaft ist das Kapital unserer Insel, wir müssen damit vorsichtig umgehen.“
Auf Samsø stehen Windräder sogar in Gärten. Die meisten Samsinger:innen haben sich eigene zugelegt und sich dafür verschuldet oder besitzen Anteile an öffentlichen Anlagen. Wenn’s um Knoten geht, geht’s auch um Knete, die Umdrehungen bringen gutes Geld. „Was ist drin für mich?“ gilt hier auch beim Klimaschutz als legitime Frage und Schlüssel zum Erfolg. Ölheizungen wurden ersetzt durch elektrische Wärmepumpen, eine thermische Solaranlage und Biogas aus Strohabfällen der Landwirt:innen. Traktoren laufen mit Rapsöl, in der Schule wird das Fach Klimaschutz unterrichtet. Intelligente Superbatterien der Firma Xolta sollen künftig sicherstellen, dass überschüssige Windenergie gespeichert werden kann.
Eigene Müllverarbeitungsanlagen hat die kleine Insel im Kattegat nicht, anders als das südlicher gelegene Bornholm. 7 Prozent …
Skandinavische Inseln wie Samsø wollen Vorreiter im Klimaschutz sein – zum Beispiel durch den Einsatz von Agrophotovoltaik. Dabei teilen sich Weidetiere eine Fläche mit Solarpanelen.