Astronaut Gerhard Thiele

„Mit ungeheurer Macht zog es mich hinaus“

11 Tage, 5 Stunden und 38 Sekunden war der deutsche ESA-Astronaut Gerhard Thiele mit dem Spaceshuttle im Jahr 2000 im All. 181-mal hat er mit seiner Crew die Erde umkreist. Wie hat er das erlebt?

Herr Thiele, am 11. Februar 2000 sind Sie in den Aufzug zum Level 170, der Einstiegsplattform des Spaceshuttles, gestiegen – zum Flug ins All. Was ist Ihnen da durch den Kopf gegangen?

Es hätte mich nicht überrascht, wenn ich aufgeregt gewesen wäre. Aber ich war es nicht. Schon in der Nacht vor dem Start hatte ich geschlafen wie ein Murmeltier. Wir haben die Abläufe ja jahrelang vorher geübt, alles war vertraut. Man fährt zur Plattform, die Aufzugtüren öffnen sich und vor einem liegt das wunderschöne Naturschutzgebiet Cape Canaveral. Erst als sich am 11. Februar die Aufzugtüren öffneten, wurde mir mit einem Schlag bewusst: Heute ist etwas anders. Ich sah in einen Stangenwald: Auf all die zusammengeschobenen Gerüste der Ladebucht, die erst kurz vor dem Start des Shuttles weggerollt werden und mir jetzt die Aussicht verdeckten. Plötzlich flogen alle Schmetterlinge im Bauch. Aber ich hab mir gesagt: Gerhard, jetzt ist es zu spät.

Doch noch dauert es zweieinhalb Stunden, bis das Shuttle abhebt …

… ja, aber im Training programmiert man sich den Ablauf wie einen Film im Kopf ein. Man ist Darsteller in diesem Film und weiß ganz genau, wie es weitergehen soll. Solange das so ist, ist man …

entspannt?

Ich würde sagen positiv angespannt. Ich wusste ja, dass immer eine Abweichung kommen kann. Aber sie kam nicht.

Irgendwann starten endlich die Triebwerke …

Die letzten sieben Sekunden vor dem Start werden sie über den gesamten Schwenkbereich getestet, sie steuern schließlich die Rakete beim Aufstieg. Dabei schwankt das Shuttle spürbar vor und zurück. Endlich zünden die Raketen, das Shuttle startet und ich weiß noch, wie ich gedacht habe: Oh, das geht aber wirklich ab. Zum Glück musste ich mich auf das Ablesen der Instrumente konzentrieren. Zwei, drei Sekunden nach dem Start habe ich mir kurz einen kleinen Spiegel vors Gesicht gehalten, um rückwärts nach unten schauen zu können – das Einzige, was ich sah, war: Das da unten verschwindet rasend schnell.

Wollten Sie immer Astronaut werden? Sie sind ja in der Zeit aufgewachsen, als der Run zum Mond begann.

Meine Eltern haben 1965 ihren ersten Fernseher gekauft, schwarz-weiß natürlich. Er war ein Heiligtum, das wir Kinder nicht anfassen durften. Wenige Wochen …

IMAGO / agefotostock

Gerhard Thiele trat am 11. Februar 2000 gemeinsam mit einem internationalen Team im Spaceshuttle „Endeavour“ die Reise ins Weltall an. Das Ziel der Mission: Die Vermessung der Erde. 

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