Es ist einer jener Morgen im Berliner Regierungsviertel, die sich anfühlen wie vor dem Anpfiff zu einem großen Spiel. Die Reichstagsfront ist abgesperrt, Polizei-Wannen säumen die Zugänge, Limousinen stehen Schlange vor dem Abgeordnetenhaus. TV-Teams eilen mit Angelmikros, Windschutzpuscheln und Handkameras Richtung Platz der Republik. Vorbei an Aktivist:innen, die mit Yogaübungen und gedehnten Beats für die Einführung einer Kreislaufwirtschaft demonstrieren. „Hallo“, ruft Ben Hufschmidt, Mitarbeiter im Berliner Bundestagsbüro von Schahina Gambir und winkt. „Schahina gibt gerade noch ein Interview für Arte.“ Da hinten steht sie schon, steil im Wind, das Halstuch flattert, der Arte-Redakteur nickt. Los geht’s. Zur konstituierenden Sitzung des 20. Deutschen Bundestages.
Schahina Gambir, knallrotes Lachen, schwarze Haare, beiger Hosenanzug, ist eine der neuen Abgeordneten des mit 736 Sitzen größten Deutschen Bundestages seit 1949. 30 Jahre alt, gewählt für Bündnis 90/Die Grünen im Wahlkreis Minden-Lübbecke. Als sie zwei war, floh Gambir mit ihrer Familie aus Kabul nach Deutschland. Heute steht sie mittendrin in dieser Republik. „Ich bin wirklich aufgeregt. Das ist ein ganz besonderer Tag für mich“.
Aufbruchsstimmung im Bundestag
Nicht nur für sie. An diesem Morgen Ende Oktober liegt Aufbruchsstimmung in der Luft, wie sie lange nicht mehr zu spüren war im Land. Merkel-Deutschland war gestern, zum Deutschland von morgen wird gerade erst das Fenster aufgestoßen. Vielleicht ist ja wirklich mehr möglich mit einem Parlament, das so jung, so divers, so voll mit vielen neuen Gesichtern ist wie dieser Bundestag. 26,4 Prozent der Abgeordneten sind unter 40, allein von der Grünen Jugend sind mehr als 30 Neulinge unter 30 dabei. Seit Tagen werden im Bundestag Stühle verschraubt, Sitzungsräume neu verteilt. Auch im Jakob-Kaiser-Haus schräg hinter dem Reichstag ist Baustelle. Kabelrollen, Lampen in Papppackungen liegen herum. Wo sollen all die neuen Abgeordneten und ihre Mitarbeitenden sitzen, Menschen wie Schahina Gambir und ihr Team? „Wer zu denselben Themen arbeitet, soll beieinandersitzen“, erläutert Hufschmidt. „Die Sortierung kann bis März dauern.“
Schahina Gambir dreht das Clubbändchen in Deutschlandfarben am Handgelenk, das alle Abgeordneten nach dem Coronatest am Vortag bekommen haben und atmet tief durch. Fühlt sich seltsam an, Fahnensymbolik war nie ihr Ding. Sie will nicht ausschließen, sondern einbinden. Will, dass alle gleichermaßen zu dieser Gesellschaft gehören. „Ich kämpfe gegen Rassismus und Diskriminierung, gegen rechtsextreme Hetze, denn am Schutz von Minderheiten entscheidet sich die Stärke einer Demokratie.“ Als Abgeordnete will Gambir das Demokratieförderungsgesetz voranbringen, das Initiativen gegen Rechtsextremismus finanziell besser absichern soll. Will dafür sorgen, dass struktureller Rassismus und weitere Probleme wie Rechte Netzwerke in Sicherheitsbehörden endlich systematisch angegangen werden. Erste Schritte, um den strukturellen Ungerechtigkeiten etwas entgegensetzen, die sie selbst immer wieder gespürt hat.
„Das ist Rassismus“
Niedersachsen…
Schahina Gambir ist eine der neuen Abgeordneten des 20. Deutschen Bundestags. Als Kind floh sie mit ihrer Familie aus Afghanistan nach Deutschland. Heute kämpft die junge Politikerin gegen Rassismus und Diskriminierung.