Schwerpunkt: Moore

Moore sind wie Essiggurken

Moore binden dreißig Prozent des Kohlenstoffs auf der Erde, obwohl sie nur vier Prozent der Landfächen bedecken. Doch in vielen Teilen der Welt werden sie zerstört, gerade in Deutschland. Was tun?

Die Pioniere sind überall. Da ist das britische Start-up Ponda, das aus dem fluffigen Inneren der Samenstände von Rohrkolben Füllungen für warme Jacken und Schlafsäcke zaubert, H&M ist interessiert. Da ist die Firma Baufritz, die mit Dämmplatten ebenfalls aus Rohrkolben experimentiert, die luftgefüllten Zellen der Stängel sind ideal zur Isolierung. Da sind Unternehmen aus Bayern, die Trockenbauplatten aus Schilf, Gräsern und Kolben fertigen. Da sind Vorreiter:innen, die mit ihrer Ernte Reetdächer decken, mit dem Heu ein Nahheizwerk betreiben oder mit Solarpaneelen auf den Flächen Energie einsammeln. Und überall im Land von Greifswald bis Weihenstephan schwärmen Forschende aus, analysieren, tragen Daten zusammen, so viel und präzise wie nie zuvor – über die Moore.

Ihre Botschaft: Schützt die nassen Landschaften. Nutzt ihre Schätze. Entwickelt Ideen. Denn Moore sind die wichtigsten Klimaschützer, sie speichern doppelt so viel Kohlenstoff wie alle Wälder der Erde zusammen. Obwohl diese Ökosysteme nur 4 Prozent der weltweiten Landflächen bedecken, binden sie etwa 30 Prozent des Kohlenstoffs auf dem Planeten. Weil sie nass sind. Den Kohlenstoff, den die Pflanzen mit der Fotosynthese aus dem CO2 der Luft ziehen, lagern sie im feuchten Boden ein. Ähnlich wie eingelegte Gurken im Einmachglas, werden die Pflanzen samt Kohlenstoff im Wasser konserviert. Nicht nur das, Moore sind Horte für Artenvielfalt und helfen, die Wasserversorgung einer Region zu erhalten, weil ihr Torf wie ein Schwamm das Nass speichert. Sie kühlen die Umgebung durch Verdunstung und sind eine Barriere gegen Brände. Sie sind wichtige Nährstoffspeicher in überdüngten Ökosystemen, denn dank ihrer Nässe binden sie auch Stickstoff und Phosphor im Torf oder bauen es biogeochemisch ab. Es gibt sie von Sibirien über die USA bis Kanada, von Brasilien über den Kongo bis nach Indonesien. Als Hochmoore in den Bergen, Feuchtgebiete im Dschungel, Niedermoore in den weiten Ebenen, Sümpfe an den Küsten.

Moorwendestimmung

Doch in vielen Teilen der Welt werden Moorlandschaften seit gut 200 Jahren zerstört, das heißt: trockengelegt. Um Städte wie Singapur, New Orleans, St. Petersburg, Sydney, Paris oder Berlin im sumpfigen Grund zu bauen. Um Torf zum Heizen zu gewinnen oder schottischem Whiskey seinen rauchigen Torfgeschmack zu verleihen. Um nach Öl zu bohren, Viehweiden zu gewinnen oder Ackerbau zu betreiben. 15 Prozent der Moore weltweit sind nach Schätzungen des Greifswald Moor Centrums inzwischen entwässert, in Deutschland gar 95 Prozent der 1,8 Millionen Hektar. Allein hierzulande blasen diese trockengelegten Flächen jedes Jahr 53 Millionen Tonnen Treibhausgase in die Luft, etwa 7 Prozent der Gesamtemissionen Deutschlands. Warum? Wieder hilft ein Blick auf die eingelegte Gurke. Lupft man den Deckel vom Glas und schüttet das Wasser ab, zersetzt der Sauerstoff die Gurke binnen weniger Tage. Ähnlich werden trockengelegte Moore von CO2-Fressern zu CO2-Schleudern. „Wenn wir sie wiedervernässen, stoppt der Prozess sofort“, sagt Franziska Tanneberger, Leiterin des Greifswald Moor Centrums. „Bis zu 40 Millionen Tonnen CO2 ließen sich in Deutschland so jährlich einsparen, das entspricht fast dem CO2-Ausstoß aus Industrieprozessen in Deutschland.“

Eine Moorwende liegt in der Luft. Pionier:innen in Ökonomie und Landwirtschaft, in Wissenschaft und bei NGOs gehen voran, unterstützt von Stiftungen an allen Ecken des Landes. Fördermittel werden mehr, die Regale mit populärwissenschaftlichen Veröffentlichungen im Buchhandel füllen sich. Moorbuch, Mooratlas, Moorwissen. Tanneberger: „Es herrscht Aufbruchstimmung.“ Aber immer noch weitgehend im Verborgenen. In Kreisen der Fachwelt, bei Naturschützer:innen, in Fachabteilungen von Ministerien. Die Bundesregierung fördert mit der Nationalen Moorschutzstrategie seit 2022 die Wiedervernässung und Moorwirtschaft mit 48 Millionen Euro – nicht viel, aber ein Anfang.

Paludilandwirt:innen im Rhinluch, Brandenburg: Basti und Juliane Petri auf ihrer Moorraupe, die in weichem Boden nicht versinkt (li), Bewässerungsgraben (re.). Fotos: Anja Dilk

Falsche Subventionen, wenig Kenntnisse

Doch gleichzeitig fließen Milliardensubventionen aus Brüssel für Ackerbau auf trockengelegten Flächen. Eine neue Autobahn soll von Niedersachsen nach Schleswig-Holstein durch ein Moor gebaut werden. Die CDU warnte noch vor einiger Zeit in einer Plakatkampagne mit Fotos von Baumskeletten im wiedervernässten Moor bei Anklam vor einem Absaufen der Landschaft, obwohl die Bäume da nie hingehört haben und „Vernässung die einzige Chance ist, ein Absaufen des Landes durch intakte Böden in der Klimakrise zu verhindern“, ärgert sich Tanneberger. Bei Landwirt:innen und Konsument:innen sind die Kenntnisse übers Moor kaum größer. Neulich, schreibt Tanneberger in ihrem 2023 erschienenen Buch Das Moor, stieß sie auf eine niedersächsische Molkerei, die für ihre Produkte von angeblich klimafreundlichem Grünland warb – auf trockengelegtem Moorboden. Und wer im Supermarkt weiß schon, dass Milch, Joghurt und Käse, die mit Futter von entwässerten Moorböden hergestellt werden, einen fünfmal höheren CO2-Abdruck haben als die von normalem Ackergrund? Eine Kennzeichnungspflicht gibt es ohnehin nicht. Schon viele Sprachen spiegeln die Geringschätzung der Moore wider. Spanisch: Tierra Desolada, trostloses Land; Englisch: Wasteland, überflüssiges Land;  Polnisch: Nieuzytki, nicht nutzbares Land.

Dass es der Schwung der Pionier:innen so schwer hat, aus seiner Blase herauszukommen, liegt nicht nur an mangelndem Wissen. Es hat auch mit dem Image des Moores zu tun, „einer 2.000 Jahre alten Kulturgeschichte eines Angstraumes“, sagt der Germanist Niels Penke von der Universität Siegen, der gerade mit der Freiburger Germanistin Joana van de Löcht ein Buch darüber geschrieben hat.

WAS IST PALUDIKULTUR?

Der Begriff leitet sich vom lateinischen palus, Sumpf, ab und meint nichts anderes als eine Landwirtschaft auf nassem Grund, die den Torf im Boden erhält. Paludikultur selbst gibt es seit Jahrhunderten, früher gewannen Menschen zum Beispiel das Schilf für Reetdächer aus dem nassen Moor. Heute bauen Paludilandwirt:innen Pflanzen wie Torfmoose, Schilf, Erlen und Rohrkolben gezielt an, lassen Tiere grasen, die Nässe vertragen, oder nutzen die Areale für Solarenergie.

Jahrhundertelang hat sich der Mensch gefürchtet vor dem Moor. Es galt als Hort von Krankheiten, Malaria, Mücken, Infektionen. Drohte Menschen zu verschlucken mit Haut und Haar. War Ort, an dem sich Geister und Dämonen herumtrieben. „Solche Erzählungen haben den Angsttopos Moor weitergetragen“, erklärt van de Löcht. Das Moor als dunkler RÃ…

Fotos IMAGO / imagebroker / Pond5 Images / Mika Volkmann

Nasse Moore sind eine enorme CO2-Senke und damit Klimaretter. Trockengelegt werden sie allerdings zu Klimakillern.

Schwerpunkt Moore

Moore braucht das Land

Moore sind unsere wichtigsten Klimaschützer. Diese Ausgabe zeigt euch, wie Menschen in aller Welt, von Brasilien über die USA bis in die Demokratische Republik Kongo, für den Erhalt und die Wiedervernässung von Feuchtgebieten kämpfen. Grafiken und Fotostrecken eröffnen einen ganz neuen Blick auf das Ökosystem, seine Schönheit und Verletzlichkeit.

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