Eine Antwort auf die Klimaflucht?

Wenn Städte schwimmen könnten

Durch den steigenden Meeresspiegel sind zahlreiche Inseln und Küstenregionen von fatalen Überschwemmungen bedroht. Der tahitianische Unternehmer Marc Collins Chen will mit seiner Firma „Oceanix” eine Lösung für diese Bedrohung schaffen. Im Interview spricht er über seine Mission: Städte, die schwimmen können – und nachhaltige Kreislaufwirtschaft betreiben.

Türkises Wasser, Palmen und von Regenwald überwucherte Vulkane: die Hauptinsel des französischen Überseegebietes Französisch-Polynesien Tahiti ist ihrer Schönheit wegen ein beliebtes Reiseziel und ein Zentrum des Perlenhandels in der Südsee. Doch durch den steigenden Meeresspiegel könnten Inseln wie Tahiti bald im Ozean versinken. Die Polynesier*innen, die indigene Bevölkerung Ozeaniens, könnten als eines der ersten Völker ihre Heimat als direkte Konsequenz der Klimakrise verlieren. Der tahitianische Unternehmer Marc Collins Chen hat eine Vision für seine Heimat: Sein Unternehmen „Oceanix” arbeitet zusammen mit dem Wohn- und Siedlungsprogramm der Vereinten Nationen (UN Habitat), dem Architekturbüro Bjarke Ingels Group und dem renommierten Massachusetts Institute of Technology (MIT). Sie wollen schwimmende Städte bauen, die nachhaltig sind und aus beweglichen Wohnmodulen bestehen. Diese sollen bis zu 10.000 Menschen beherbergen können, die sich durch eine Kreislaufwirtschaft versorgen. Transportmittel, Infrastruktur und Baumaterialien sollen umweltschonend und klimapositiv sein.

Auch bei Good Impact: Was bringt der lokale Klimanotstand?

Herr Collins Chen, was war Ihre Inspiration für Oceanix?

Ich habe meine Vision bereits vor 13 Jahren entwickelt, als ich Minister für Tourismus von Französisch-Polynesien war. Ich sah dort aus nähester Nähe die Bedrohung durch den Anstieg des Meeresspiegels und begann damit, nach nachhaltigen Lösungen für dieses Problem zu suchen. Schwimmende Städte bieten eine innovative Adaption, bei der Menschen auf dem Wasser leben, während die Natur unter ihnen und um sie weiter in Frieden gedeiht. Die Städte können treiben, steigen also mit dem Wasserstand und sind daher gegen eine Flut gewappnet.

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Der Unternehmer Marc Collins Chen war lange Zeit Minister für Tourismus von Französisch-Polynesien. Als er erkannte, wie unmittelbar die Bedrohung des steigenden Meeresspiegels für seine Heimat ist, kam ihm die Idee, eine schwimmende Stadt zu erbauen. Bild: Oceanix

Könnten auch andere Teile der Welt von schwimmenden Städten profitieren?

Ja, geschätzte 90 Prozent der größten Städte weltweit sind von einem steigenden Meeresspiegel durch den Klimawandel gefährdet. Die große Mehrheit der Küstenstädte wird von Erosion und Überflutung betroffen sein, die Häuser und Infrastruktur zerstören und damit Millionen von Menschen heimatlos machen werden. Schwimmende Städte könnten die verletzlichsten Bevölkerungsgruppen schützen.

Wo genau würden diese Städte errichtet werden?

Wir sehen Oceanix als Erweiterungen bereits bestehender Küstenstädte überall auf der Welt, die mit Zustimmung der jeweiligen Regierung ein bis zwei Kilometer vor der Küste eines Landes treiben würden.

Wie finanzieren sie sich? Haben schon konkrete Regierungen Interesse an dem Projekt gezeigt?

Oceanix wird privat finanziert. Wir sind derzeit mit mehreren Regierungen in Gesprächen, die sehr interessiert an einem Prototyp in ihren Gewässern sind. Wir dürfen aber noch nicht sagen, mit welchen Regierungen wir zusammenarbeiten.

Oceanix wollen Städte für jede Region der Welt schaffen: Hier ein Entwurf für eine afrikanische Meeressiedlung. Bild: Oceanix

Woraus genau baut man eine schwimmende Stadt ?

Wir arbeiten mit einigen der größten Beton-Herstellern der Welt zusammen, um einen Beton zu entwickeln, der resistent gegen Salzwasser ist, 200 Jahre lang hält und keine Metalle enthält, die rosten könnten. Wir wollen unsere Plattformen so bauen, dass sie während ihrer Nutzungsdauer nicht aus dem Wasser herausgezogen werden müssen. Für die Gebäude sollen nachhaltige Materialien wie Bambus herangezogen werden.

Würden solche Städte die bereits völlig verschmutzten Weltmeere nicht noch zusätzlich belasten?

Nein, von Beginn an wird jeder Aspekt, sei es Abfall-Management, der Umgang mit Abwasser und so weiter, berücksichtigt. So schaffen wir ein Kreislaufsystem, das weder den Ozean noch die Luft verschmutzt. Das Design der Oceanix-Städte beruht auf den Zielen für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen: Wir wollen geschlossene Kreisläufe nutzen, um aus Abfall Energie, agrarwirtschaftliche Rohstoffe und Materialien zu recyceln. Die Stadt wird frisches Wasser durch moderne Wasserdampfdestillations-Technologien aus der Atmosphäre und durch das Auffangen von Regen gewinnen. Aus Sonne, Wind und Wellen wollen wir erneuerbare Energie generieren. Mobilität soll auf Sharing-Modellen und vor allem auf sogenannter „aktiver Mobilität” beruhen, also Fortbewegungsmethoden, bei denen die Menschen sich durch ihre eigene Körperkraft fortbewegen.

Gewächshäuser für nachhaltige Landwirtschaft, klimaneutrale Fortbewegung und Gebäudekomplexe aus Bambus: so sehen die Entwürfe von Oceanix aus. Bild: Oceanix

Die Animationen von Oceanix sind wunderschön, aber sie wirken auch recht luxuriös. Wie wollen Sie sicherstellen, dass die schwimmenden Städte inklusiv sind – und sich nicht zu einer Gated Community für die Eliten entwickeln?

Schwimmende Städte können an Land modular vorgefertigt werden und zu ihrem finalen Standplatz geschleppt werden, was erhebliche Baukosten spart. Heutzutage sind Grundstücke in Küstenstädten unglaublich teuer. Grund auf dem Meer kostet dagegen fast gar nichts oder gar nichts. Dadurch kann man preiswerten Lebensraum anbieten, den Küstenmetropolen dringend brauchen. Während des runden Tisches der Vereinten Nationen über nachhaltige, schwimmende Städte im April 2019 war die Notwendigkeit einer finanziellen Inklusion einer der wichtigsten Punkte der Diskussion.

Sie behaupten, dass die Städte sicher vor Naturkatastrophen wie Tsunamis und Hurrikans sind. Wie wollen Sie das gewährleisten?

Tsunamis verursachen den größten Schaden bei fester Infrastruktur an der Küste, viel weniger Schaden dagegen gibt es, wenn es um Schiffe und Ölplattformen auf offenem Gewässer geht. Die schwimmenden Städte werden in Gebieten verankert, die am wenigsten von Tsunamis gefährdet sind. Sie werden so beschaffen sein, dass sie starken Winden und Wellen widerstehen können.

Bild: Oceanix

Der tahitianische Unternehmer Marc Collins Chen will schwimmende Städte bauen. Sie sollen Menschen, die durch die Klimakrise ihre Heimat verlieren werden, eine Zuflucht bieten.

Morgane Llanque

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